| Siegburg d 20 März 1869.
Hochverehrter Freund u. Meister.
Die Nothwendigkeit mir hier eine neue Erwerbsquelle zu schaffen hat mich in der letzten Zeit so in Anspruch genommen, daß ich unter vielem Andern sogar auch fort und fort verschoben habe, Ihnen für Ihre freundliche anerkennende Beurtheilung meiner schriftlichen Arbeit zu danken.
Unter dem Titel: "Die menschliche Kopf-Arbeit, dargestellt von einem Hand-Arbeiter, eine abermalige Kritik der reinen und praktischen Vernunft," wird dieselbe demnächst im Buchhandel erscheinen.
Indem ich die Druckkosten guarantirte, habe ich Ihren Verleger, Otto Meissner, vermocht, die Sache zu übernehmen.
| Eine Sektion des
internationalen Arbeiter-Vereins hier zu gründen ist mir soweit gelungen, daß
ich ca ein Dutzend intensive
Anhänger der Sache aufgefunden, welche aber sehr verstreut in der
Umgegend wohnen, von denen jeder in seinem näheren Kreise den Saamen der
Erkenntniß weiter pflanzt. Speziell in Siegburg ist das Terrain zur Agitation
wohl geeignet, indem hier zwei bedeutende industrielle Etablissements arbeiten,
eine Eisenhütte, Gießerei Maschinenbau u.s.w. und eine sehr bedeutende
Kattundruckerei. Unter diesen Arbeitern für unsere Sache zu wirken,
habe ich wohl viel Neigung, aber wenig Talent. Ich bin gar wenig Redner und was
schlimmer, gar zu befangen im persönlichen Verkehr. Einstweilen habe ich damit
| zu thun, mir eine Gerberei derart modern einzurichten, ein so vorzügliches
Arbeitsinstrument anzuschaffen, daß meine persönliche Arbeitskraft damit ein
anständiges Einkommen für meine Familie erzielen mag. Ich bin so glücklich
Kapital genug dazu zu besitzen. Unterdessen suche ich mit den örtlichen
Verhältnissen und Persönlichkeiten bekannt zu werden und warte mit großem
Verlangen auf die Gelegenheit für die revoloutionaire Idee öffentlich wirken zu
können. Hoch erfreut haben mich diese Tage unsere Kämpfer im Reichstag des
Norddeutschen Bundes.
Schließen Reichstage
v. Schweitzer & Bebel & Fritsche haben
sich recht wacker gezeigt und der Karl Braun und die Abgeordneten
der Nationalliberalen Partei?
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Braun & Co. wenn nicht die Augen dann
doch die Ohren geöffnet. Es muß doch,
| als ein zeichen der Zeit, auch Sie
erfreuen, wenn Sie sehen, wie das Produkt Ihrer Arbeit als leuchtender Blitz von
der Höhe des norddeutschen Reichstages in die Geschichte der Gegenwart fährt,
mit seinem Lichte die Freunde erfreut und die Feinde erschreckt.
Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch
1. Hamburg 1867. Siehe Erl. zu Marx an
J. Ph. Becker, zw. 9. u. 15.1.1866: „1200 Seiten
Manuscript“. (MEGA2 II/5). Die Manuskripte für eine
Fortsetzung des „Kapital“, an denen Marx bis zum Ende seines Lebens
weiterarbeitete, wurden erst nach seinem Tod von Engels veröffentlicht.
Ausführlicher dazu siehe hier.
Schließen Vor allem hoffe ich, daß solche Thatsachen Sie zur baldigen
Vollendung ihres unsterblichen Werkes stimuliren. Lassen Sie mich doch
gelegentlich erfahren, bis wann die Erscheinung der Fortsetzung zu
hoffen ist.
Sie fragen mich nach Hermann
Meyer.
Schließen Meyer und Joseph
Weydemeyer.
Schließen Weidemeyer in St. Louis. Letzteren habe ich
nicht kennen gelernt, mit Herrn Meyer dagegen im Winter 1860/61 in Montgomery
zusammen auf einem Zimmer gewohnt und an demselben Tische gegessen. Ich erinnere
mich seiner sehr gerne. Nicht überliefert.
Schließen Mein Photogram lege ich
bei.
Mit dem Ihrigen hat mich Herr Kugelmann
voriges Jahr zu Weihnachten erfreut.
Mit vielen herzlichen Grüßen
Ihr Jos. DietzgenZeugenbeschreibung und Überlieferung
Zeugenbeschreibung
Soweit aus der Fotokopie zu ersehen ist, besteht der Brief aus einem Bogen weißem, kariertem Papier. Dietzgen hat alle vier Seiten vollständig beschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.
Von unbekannter Hand: Nummerierung des Briefes mit Bleistift auf der ersten Seite: „26“.
Drucke
Anmerkungen zum Brief
Die Beilage („Mein Photogram“ ) ist nicht überliefert.
Zitiervorschlag
Joseph Dietzgen an Karl Marx in London. Siegburg, Samstag, 20. März 1869. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000971. Abgerufen am 18.04.2024.