| Hannover, 21 Octob. 1869

Mein lieber Marx!

Besten Dank für die prompte Anzeige Eurer glücklichen Ankunft in London. – Übrigens war es wirklich Zeit, daß Du abreistest, denn unter dem eisigen Hauche Deiner Negation war „das Geschäft“ ganz ins Stocken gerathen u. ich kam mir fast „Freiligrath“ vor. – Seitdem sind bereits wieder 2 „Kapital“ u. 3 „Brumaire“ verkauft u. Brandes hat von Leipzig neue Sendungen beordert. – Augenblicklich gehe ich mit dem Plane um neue Märkte zu erobern, obgleich ich die gründliche Ausbeutung der alten nicht versäumen werde. – Ich beabsichtige nämlich, auf die Gefahr hin durchzufallen, (die Herren sind etwas schnüffelig) mich zur Aufnahme in den Künstlerverein zu melden, dem die gebildetere Gesellschaft Hannovers angehört. Dieser Tage wurde ich zur Behandlung der Frau unseres Primo Tenoro Dr. Gunz berufen, die ernstlich erkrankte, deren Fall nicht erkannt u. jetzt bereits der Heilung entgegen geführt wurde. – Wie Du weißt, kann ich meine kaufmännische Vergangenheit nicht ganz vergessen u. so machte ich denn von der begeisterten Stimmung des „Collegen“ Gunz (er hat Medicin studirt u. auch anfangs kurze Zeit in Wien practicirt) sogleich die practische Anwendung durch Andeutung, daß ich immer die Absicht gehabt hätte, mich dem Künstlervereine anzuschließen. – Er ging sofort darauf ein u. hofft mich durchzusetzen. – Geht’s gut, so denke ich die gute Meinung zu bewähren, welche Meissner von mir hat, vielleicht gelingt es mir auch, mir dort einige Leute zu erziehen, die unsere Interessen theilen. –

Von Liebknecht erhielt ich vor ca 8 Tagen unter Couvert einen Brief für Dich, den ich ihm zurückschickte u. entschuldigte Dich dabei: Du habest immer schreiben wollen, wärest aber wahr | 2scheinlich durch die vielen Arbeiterdeputationen, sowie durch den Tod meiner Mutter daran verhindert worden. Hast ihm schon geschrieben?

Auch an Herm. Meyer – St. Louis möchte ich Dich erinnern. – Vor kurzem schrieb mir mein Schwagerin Pittsburg, daß er ihn besucht u., wie mir scheint, auch bearbeitet hat. Mein Schwager wünscht nämlich, ich möchte ihm neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der social-öconomischen Literatur (das „Kapital“ hat er bereits) zuschicken, auch die Schriften von Lassalle. –

Was von letzteren u. was sonst soll ich ihm schicken?

Bracke aus Braunschweig habe ich auch citirt u. bereits gesprochen. Er war mir für meine Warnung dankbar u. freute sich Deiner Zustimmung. Er hatte sich schon größere Vorsicht vorgenommen, doch schien es mir, als wäre meine Mahnung ihm nützlich gewesen.

Da ich nun mal in das Gebiet der väterlichen Fürsorge gerathen bin, so bitte ich Dich, lieber Marx, inständigst, Deiner Verdauung die unausgesetzteste Aufmerksamkeit zu widmen. Deine icterische Färbung machte mir wirklich Sorge, wie ich mich freute dieselbe namentlich in den letzten Tagen sich erheblich mindern zu sehen. – Gebrauche doch täglich, selbst wenn es Dir scheint, als könnest Du es entbehren den Syrupus domesticus (seu: Syrup. Spinae cervinae, seu: Syrup. rhamni catharticae). Morgens nüchtern zwei gehäufte Theelöffel voll mit Wasser, event. gegen Mittag nochmals 1 bis 2 Theel., event. auch Morgens weniger. Du mußt es Dir eben reguliren, so daß Du täglich 1 oder besser 2 mal reichliche Ausleerungen hast. – Denke nicht weiter daran u. schlucke den Teufelstrank herunter. Besser das, als eine desorganisirte Leber mit Icterus oder Carbunculose. – Tröste Dich mit mir, der ich denselben Vorschriften folge. Bei unserer Lebensweise ist es eben nöthig u. der empfohlene Syrup, der nur der Saft aus Kreuzdornbeeren mit Zucker gemischt (5 Thln Saft + 9 Thln Zucker) ist, hat nicht die unangenehmen | 3 Nebenwirkungen, der meisten abführenden Pillen, die durch Quecksilber (in England ein gewöhnlicher Bestandtheil) das Blut verderben, oder durch Aloë die Unterleibsorgane congestioniren. – Die heitere Stimmung in die Dich die Regelung dieser Hauptfunction versetzen wird, wird Dich reichlich für die kleinen Unannehmlichkeiten entschädigen, die die „allpfiffige Vorsehung“ den Kreuzdornbeeren nicht fern zu halten die Rücksicht hatte. – Endlich müßtest du noch weniger Gemüth haben, wie Dir die Gartenlaube zugebilligt hat, wärest, mit einem Worte, ein herzloser, verstockter Sünder, wenn Du all diese Dinte vergebens vergossen sein ließest u. dem mit so nachdrücklich kräftigen u. so süß einschmeichelnden Worten empfohlenen Syrupus domesticus den Eintritt in Deine Häuslichkeit verwehren wolltest. –

Hierbei einige Blätter mit angestrichenen Stellen. In einem andern, das ich nicht finden kann, war unter Andern, dem Arbeiterverein geschenkten Werken auch aufgeführt „von Karl Marx ein Buch“. –

Schicke mir gelegentlich Collet: Ungarische Artikel.

Noch vergaß ich zu bemerken, daß Bracke von Bonhorst, namentlich von seiner Ehrlichkeit eine gute Meinung hat. –

Menke u. Mariechen haben mir freundliche Grüße an Euch aufgetragen u. die dringende Bitte, wenn Ihr wieder nach Hamburg kämet, doch jedenfalls bei Ihnen zu wohnen. –

Nun lebe wohl, lieber Freund, erhälte Dich für die ganze Welt, u. uns besonders, gesund u. frisch u. runzele nicht allzusehr die Stirn über

Deinen
treu ergebenen
L. Kugelmann
Dr


Sei so gut u. schreibe mir, wo Ed. Reich („Über d. Entartung der Menschen“ pp) wohnt, damit ich ihm Dein Buch empfehlen kann. Du findest sein Domicil wohl auf dem Titel oder unter der Vorrede. Viele Grüße Deiner lieben Frau, Tussy u. Engels. –

| Lieber Mohr! Ich danke Dir vielmals für „Klein Zaches“; ich habe es schon ganz ausgelesen und Papa hat es mir wunderhübsch einbinden lassen, roth mit Gold; Du kannst mir glauben, lieber Mohr, so habe ich noch bei keinem Buche gelacht, es ist zu drollig und so reizend wie keines meiner Bücher. – Ich bekomme jetzt oft Besuch von meiner Vetter Eugen, welcher hier in eine Pension gekommen ist, wir spielen immer so niedlich.

Jetzt, leb wohl, lieber Mohr, nimm 1000 Grüsse und Küsse von

Deinem
Käuzchen
Mitglied
der geheimen Gesellschaft
der Achtblättler.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Zeugenbeschreibung

Soweit aus der Fotokopie zu ersehen ist, besteht der Brief aus einem Bogen dünnem, weißem, leicht vergilbtem Papier. Auf allen Seiten scheint der Text der Rückseite durch, was die Lesbarkeit erschwert. L. Kugelmann hat die zunächst die vierte und erste Seite vollständig, anschließend die zweite Seite vollständig quer beschrieben. F. Kugelmann hat die dritte Seite vollständig und quer beschrieben. Schreibmaterial: blaue Tinte.

 

Zitiervorschlag

Louis und Franzisca Kugelmann an Karl Marx in London. Hannover, Donnerstag, 21. Oktober 1869. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0001198. Abgerufen am 19.04.2024.