| 5 oktob ’69
Hoboken N.J.
letterbox 101

Lieber freund,

sollte ein brief von ihnen verloren gegangen sein? ich habe wenigstens drucksachen erwartet. Ich bin jetzt in der lage, Englische drucksachen in größerer menge vertheilen zu können. Die Trades Unions der stadt New York sind seit mehreren Jahren in einem central-körper (Workingmens Union) vereinigt, dem nur wenige deutsche vereine beigetreten sind. An dem im frühsommer abgehaltenen arbeiterfeste (zum besten der in ein tageblatt zu verwandelnden und nun auch verwandelten) betheiligte sich unser verein (Allgem. deutsch Arbeit. Verein) der von Vogt im januar neu organisirt wurde und unter dem obigen namen von der National Labor Union einen charter besitzt. Durch die Bemühungen von Vogt und Carl entstand aus diesem fest-ausschuß ein deutscher central-körper (Die deutsche Arbeiter-Union) dessen constitution über derjenigen der Work. Union steht. Beide Unions veranstalten am 12ten oktob eine massen-versamlung im Cooper-Institute, um die politische thätigkeit für die bevorstehenden wahlen im sinne der arbeiter-partei an zu spornen. –

31 December

Ich reise morgen mit der Brig Curaçao de Windsor, Capt. Lockart nach Curaçao und von dort aus nach der insel Oruba (westlich von Curaçao), welche ich innerhalb 4 oder 5 wochen auf gold geognostisch und bergmännisch untersuchen werde. Ende märz werde ich wieder hier sein. Die stellung als lehrer verlor ich ende september wegen eines abzuges von ¼ dollar per woche, gegen den ich einsprache erhob. Nach 14 tägiger unthätigkeit schrieb ich für Prof. Schems Deutsch-Amerikanisches Konversationslexicon für lumpenbezahlung naturwissenschaftliche artikel, verlangte für die anstrengende arbeit 2 dollars per woche zuschlag und erhielt kündigung. Nach einer 8 tägigen reise mit einem bedeutenden händler und fabrikanten von fire-works nach Connecticut und Vermont, um gold-erze zu untersuchen, und 4 wöchentlicher pause wurde ich für diese tropische expedition angestellt. – – Vogt hat endlich seit etwa 8 wochen arbeit in Flushing (etwa 15 meilen von New York), kommt etwa 2 oder 3mal im monat nach New York, wo er im verein sehr wirksam arbeitet. Sobald Sorge sicher war, daß ich fortgehe, trat er dem allg. deutsch arb. ver. bei und fängt an, seine eigne verwirrtheit zu verbreiten. Vogt schont ihn nicht, ist aber zu heftig, so daß seine wirksamkeit dadurch etwas geschmälert wird. Bei der nächsten neuwahl wird Sorge hoffentlich nicht zum korrespondierenden sekretär gewählt; wahrscheinlich wird ein cigarrenpacker, Bertrand, dran kommen, den ich für zuverlässig halte. Der verein hat sich endlich als sektion der Internationale erklärt; ich habe die geringen beiträge an Stepney geschickt. Ich muß meinen nothruf um englische agitationsschriften erneuern. Existirt eine | englische übersetzung des manifests? ist sie gedruckt? Es wird uns hier leicht fallen, die kosten des drucks auf zu bringen und wir brauchen sehr viel der art. Wenn Eccarius seine englischen artikel gegen J. St. Mill herausgeben will, so können wir ihn sehr wirksam unterstützen; ich garantire ihm einen absatz von 1000 exemplaren in der stadt N-York. Er schreibe zuerst an Cameron oder noch besser an Jessup, dem ich nahe getreten bin und der trotz seiner jahre und seines konservativen, Amerikan. national. charakters unstreitig zu den bravsten und ehrlichsten führern gehört. Sylvis war ein gefährlicher charakter, nicht ohne verwandschaft mit dem agitator Lassalle; seine verwendung der gelder war gewissenlos. Trevellik scheint beschränkt zu sein und sich leiten zu lassen; an der nöthigen sparsamkeit läßt er es auch fehlen. Gegen Phelps, den schatzmeister der Nat. Lab. Un. wird viel gemunkelt. Ich fand in Philadelphia die dinge noch ziemlich trostlos; habe aber die personen sehr gründlich studirt. Leider fühlte ich mich in der Englischen sprache noch zu unsicher; in Cincinnati werde ich aber das maul nicht halten. Die Crispinus ritter sind eine gewaltige macht. Vogt ist ihnen nicht bei getreten; er mistraut den geheimbündeleien und glaubt die katholische kirche im spiel. Die gerühmten erfolge bestreitet er; bei dem geringen stücklohn habe eine erhöhung von 10% fast gar keine bedeutung. Als in Philadelphia der antrag unseres vereins, die verwandlung der stückarbeit in stundenarbeit an zu streben, 15 minuten lang debattirt wurde, erhoben die schuhmacher die stärkste opposition. –

Ich war mit dem schreiben so lässig, weil ich während der wahl-kampagne sehr viel arbeitete. Dabei hatte ich die beste gelegenheit, die personen auf ihre ehrlichkeit zu prüfen und mir unter den Englisch-Amerikanern eine stellung zu verschaffen. Das ist erreicht und wenn uns Douai von der Arbeiter-Union, ein blatt, welches Becker und Liebknecht leichtsinniger weise loben, nicht gar so viel hinderte, könnten wir unter den Deuschen spiesbürgern schon etwas ausrichten. Der freund von Sorge, A. Douai, vom begeisterten verehrer der Gartenlaube und Schulze-Delitsch in 1 jahr zum kommunisten umgewandelt, ist in den letzten monaten von Bramarbas Heinzen so gründlich verhauen worden und keiner der Deutschen führer hat das geringste davon gelesen oder will es auch nur prüfen und doch hat ihm Heinzen nicht unrecht gethan. Die leute lesen eben die leitartikel gar nicht; sie denken nur an vorwärts-kommen und wissen auch genau auf welche weise das zu machen ist. Wir haben seit einigen wochen Rudolf Starke aus Basel hier, den ich über Becker ausforschte.

| Die streifbanddsendung mit Report, Eccarius und resolutionen habe ich erhalten; ich konnte sie in keine zeitung bringen.

Ich hatte Becker über seinen freund Sorge, an den er zärtliche episteln richtet und der an seiner tochter (jetzt hier verheirathet) vaterstelle vertreten will, wenn er auch gelegentlich gattenstelle einzunehmen gelüste verspürt, rücksichtlich seiner politischen stellung reinen wein eingeschenkt. Als antwort kam die zustimmung, er kenne den bewußten kameraden von alters her und mußte ihn an den ihm gebührenden platz zur beziehungsweisen ausnutzung gestellt wissen. Wir arbeiten hier für den Vorboten und sehen dann Sorge und Douai darin gepriesen! Das geht denn doch nicht! Mein grober brief an Becker scheint übel vermerkt zu sein. Und der unglückliche Liebknecht! Die schnitzer häufen sich und die schulden wahrscheinlich auch. Ich muß gestehen, daß ich bereits anfange im interesse der sache zu fürchten, daß er herüber kommt. Freilich kann er durch verdrängung Douais viel nützen.

Ich las einen brief von Dietzgen an Komp und dachte dabei an einen lieblingstraum, Sie auch einmal, wenn auch nur auf ein paar stunden, sprechen zu können. Ich habe schriftsteller und mensch noch niemals trennen können, habe in Lessings werken vor allem seinen charakter aufgesucht und das gleiche streben bei ihren büchern gehabt und von allen menschen, welche mir begegnet sind, kenne ich nur drei, welchen ich willig überlegenheit in der charakter-bildung zugestehe: meine braut, Vogt und K. Marx. Entschuldigen sie diesen ausbruch; es mußte einmal gesagt sein. Lassen sie mich etwas über den zweiten band hören. An den vorsatz der übersetzung und verbreitung einzelner stellen des I bdes denke ich noch oft. Ist es wahr, daß der 18. Brumaire neu gedruckt wird?

Das grundeigenthum ist seit monaten in stetem fallen begriffen. Der Westen leidet an geschäftslosigkeit und bankerotten, während im Süden die industrie etwas blüht. Wir hatten vor wochen gelegenheit, einen farbigen politiker aus dem Süden Ex-Senator A. A. Bradley von Georgia, über die arbeitsverhältnisse der Schwarzen zu hören. Die Republikaner haben ihnen böse mitgespielt. Die agitation unter den Farbigen werden wir schwunghaft betreiben; in ihnen steckt feuer und ernst. – –

Pelletier, den korrespondierenden sekretär der französischen abtheilung, habe ich noch nicht gesehen. Wir erforschten eine rein Republika organisation in New York und St. Louis; von einer arbeiter-organisation habe ich noch nichts erfahren. – Drury hat sich als schwätzer entpuppt, wenn er nicht noch schlimmer ist. – Briefe werden mir nachgesendet; schreiben sie: letterbox 101.

Ihr
Sgfd Meyer

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Soweit aus der Fotokopie zu ersehen ist, besteht der Brief aus einem Bogen und einem Blatt bläulich-weißem, liniertem Papier. Meyer hat die erste und dritte Seites des Bogens sowie die erste Seite des Blattes vollständig beschrieben, die übrigen Seiten sind leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Schwarzer Stempel oben rechts auf der ersten Seite: „LAB. UNION NO. 5“.

Archivsignatur des Moskauer Marx-Engels-Instituts (IMĖ) auf allen beschriebenen Seiten oben links: „Rj 66a–c“ (Bleistift).

 

Zitiervorschlag

Sigfrid Meyer an Karl Marx in London. Hoboken, Dienstag, 5. Oktober, und Freitag, 31. Dezember 1869. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0001192. Abgerufen am 19.04.2024.