| Palmerston Buildings,
93, Bishopsgate Street, E. C.
65, Fenchurch Street E.C.

London, 12ten Juni 1869.

Lieber Engels,

Mein Krakehl ist noch nicht entschieden und grade im letzten entscheidenden Augenblicke, wo der Obmann schlagende Auskunft verlangen konnte, wollte ich mich nicht entfernen. Jetzt ist es nun wohl sicher, daß die nächste Woche seinen Ausspruch bringen wird. Die Trennung ist nicht zu bezweifeln, denn außer daß wir von vornherein ein paper of reference gezeichnet haben, welches den Schiedsrichtern das Recht giebt, über alle disputes and differences zu entscheiden, hat sich der Obmann auch noch von beiden streitenden Parteien schriftlich geben lassen, daß er das Recht hat über expediency or nonexpediency of immediate se | paration zu richten. Beide haben ihm den Wunsch ausgesprochen, daß er sie trennen möchte. Es handelt sich also nur um den Betrag, den ich zu empfangen hätte! –

Nun um einen Rath in wichtiger Angelegenheit. In dem Bordeaux-Geschäft mit Weinhändlern kann ich mir immer £ 1000 bis £ 1500 jährlich verdienen und dazu könnte ich wohl einige andere Erwerbsquellen ausbeuten, wenn ich meine ganze Zeit nur dem Schacher widmete. Das behagt mir allerdings nicht und wäre, wie obige Figura zeigt, auch nicht unbedingt nöthig. Was sagen Sie zu einer andern Aussicht, die sich mir eröffnet?  Oskar Graf von Reichenbach-Goschütz?
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Reichenbach
ist nemlich der Bevollmächtigte eines Berliner Bankier-Kommittees, welches von der norddeutschen Regierung (preussischen pure?) die Koncession für eine Anglo-German Bank hat. Die Berliner Herren sind:

| Victor von Magnus (Schulfreund von mir)
Paul Mendelssohn (of the Mendelssohn)
 Adelbert Delbrück (1822-1890).
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Delbrück
(Verwandter des  Martin Friedrich Rudolf Delbrück (1817-1903).
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Delbrück
)
 Vermutlich Eduard von der Heydt (1828-1890).
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v. d. Heydt
(Verwandter des  August Freiherr von Heydt (1801-1874).
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v. d. Heydt
)
Müller (Konsul u. Bankier).

Nun bietet mir Reichenbach an, manager der Bank in London zu werden, und nach seinen Auslassungen zu urtheilen, würde man jede nur irgend billige Bedingung, die ich machte, annehmen.

Eine solche Bank, auf wirkliche Stützung natürlich sich entwickelnden Handels und Industrie gerichtet, hat meine Billigung. Das Diskontiren von Wechseln, die Erleichterung von Geldanlagen Seitens Deutscher in englischen, Seitens der Engländer in deutschen „Sicherheiten“, Vermittlung für die transatlantischen Geschäfte der Deutschen, Hülfe bei Schaffung von Eisenbahnen und Telegraphen für West- und Mitteleuropa – das Alles sind Dinge, für die ich gerne versuchen würde, meine Verwaltungsfähigkeiten, wenn ich deren überhaupt besitze, | anzustrengen. –

Finanzhülfe für Rußland würde ich auf keinen Fall begünstigen.

Halten Sie es für möglich, daß ich in einer solchen Stellung meine geistige oder besser meine politische Unabhängigkeit bewahren kann? – Hierüber hege ich nicht unbedeutende Zweifel, und sie sind es, die mich verhindern, bewerbend aufzutreten, ja überhaupt das Anerbieten mit Gunst zu betrachten.

Wie stehe ich dabei auch bezüglich des stets noch von Preußen über mir schwebenden Verurtheilungsschwertes? – Müßte ich nicht am Ende gleich einen Annäherungs- Kowtow.
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Kootow(?)
an die preußische Regierung machen?

Schreiben Sie mir, sobald als möglich, Ihre Ansicht über die von mir bewegten Punkte, neue hinzufügend, wo Sie nur können.

Wäre es nicht am Ende besser, sich nicht in Strudel zu begeben und bei geringerem Einkommen seine | Unabhängigkeit auch nicht der geringsten Gefahr auszusetzen? –

Es versteht sich von selbst, daß Höhe des Einkommens, Rummel von Glanz der Stellung mich nicht locken kann – denn sonst müßte ich von mir annehmen, daß ich ein heimliches Gelüste nach dem  Roter Adlerorden.
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Piepmatz 4ter Klasse
und Geheimsrathstitel habe. Ich habe noch einige bedeutende Arbeitskraft in mir und möchte gerne bei der Entwickelung der Geschäfte, der Industrie, des Handels in Deutschland mit schieben helfen.

Aber offen gestanden – ein ganz mäßiges Einkommen, eine gute Bibliothek, vollkommene geistige Unabhängigkeit, Freiheit für schlechte Witze – würden mir viel besser passen.

| Etwas opfern aber müssen wir Alle – also das will ich auch! –

Nun, rathen Sie mir! Auch Marx möchte ich hierüber befragen. Wo ist er? Ist er noch bei Ihnen?

Andere Leute befrage ich nicht. Nur Sie und Marx! –  Siehe S. L. Borkheim an Marx, 12.6.1869.
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Ich schreibe an Marx nach Maitland Park
, um nur zu hören, ob er hier ist. Ist er noch bei Ihnen, so legen Sie mir Ihren Senf zusammen.

Der Ihrige
Borkheim.
Zukunfts-Fenerarius.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Zeugenbeschreibung

Soweit aus der Fotokopie zu ersehen ist, besteht der Brief aus zwei Bogen weißem Papier. Borkheim hat fünf Seiten vollständig, die sechste zur zwei Dritteln beschrieben; die übrigen zwei Seiten sind leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Auf beiden Bogen: Ovaler Aufdruck „Schröder & Schÿler & Co Established 1739 Bordeaux.“ auf der vierten Seite oben links, rechts daneben Adressaufdruck „65, Fenchurch Street E.C.“ (gestrichen, darüber roter Stempel mit neuer Anschrift) und Datumszeile „London, ___18_“.

Von unbekannter Hand: Nummerierung des Briefes oben auf der vierten Seite: „58“ (Bleistift; auf beiden Bogen), „113“ (blaue Tinte; auf dem zweiten Bogen).

Von unbekannter Hand: Notiz oben links auf der vierten Seite des zweiten Bogens: "Polit. 1869 / Mostly Marx / no 74"

 

Zitiervorschlag

Sigismund Ludwig Borkheim an Friedrich Engels in Manchester. London, Samstag, 12. Juni 1869. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0001058. Abgerufen am 20.04.2024.