| Geehrter Herr Marx!

Sowohl aus eignem Antriebe, wie auch im Auftrage von Parteigenossen, erlaube ich mir einige Zeilen an Sie zu richten.

Wir haben in letzterer Zeit mit Herrn Liebknecht correspondirt und mit Ihm und Bebel bei deren Anwesenheit hierselbst während der Generalversammlung des Schweitzerschen A. D. Arbeitervereins persöhnlich verkehrt.

Das Schreiben welches Ihnen von vorgenannten beiden Herren L. B. vor circa 14 Tagen von hieraus zugegangen, ist im Kreise unserer hiesigen Parteifreunde verfaßt worden bei welcher Gelegenheit wir noch von Herrn Liebknecht dringend aufgefordert wurden an Sie Geehrter Herr! zu schreiben.

Wie Ihnen bekannt sein wird, waren die Herren Bebel u Liebknecht hierher gekommen, um Schweitzer in seiner eignen Generalversammlung anzugreifen, resp. seine perfide und reaktionäre Handlungsweise seit 1864. und in letzterer Zeit dem Nürnberger Vereinstag und hauptsächlich der Internationalen Assotiation | gegenüber, zu beleuchten! und um auf diese Weise der tagenden Generalversammlung Gelegenheit zu bieten, entweder die Vereinsleitung Hrn v. Sch. aus den Händen zu nehmen, oder aber demselben so viel wie möglich die Hände zu binden! –

Dieser Plan hätte allerdings vollständig gelingen können! ja, gelingen müßen! – wenn hier nicht jetzt zum zweiten Male! gleich wie im vorigen Jahre, zur Zeit der Hamburger Generalversammlung des Schw. Vereins zum ersten Male! total falsche Bahnen wären eingeschlagen worden. Während man die Mittglieder des Schweitzerschen Vereins über die bodenlose Schlechtigkeit Princip und Characterlosigkeit Ihrer Führer, Schweitzer, Tölcke & Co hätte aufklären sollen, um Sie (die Leiter) auf diese Weise zu isoliren, und ihre Stellung zu unterminiren, that man im vorigen Jahre das Gegentheil, in dem man offen proklamirte: daß man sich mit Herrn J. B. v. Schw. | verständigt habe, und daß derselbe mit dem Programm der Internationalen Assotiation Hand in Hand gehe u.s.w. – Schweitzer mußte natürlich bei diesem Spiele gewinnen! – Von allen ehrlichen denkenden Menschen verachtet! von vielen Mitgliedern seines Vereins mit Argusaugen bewacht mußte er (Schw.) sich einen neuen Halt zu verschaffen suchen. und er bewerkstelligte solches, indem er sich das große Ansehen indem die Internationale Assotiation und seine Führer stehen zu Nutze machte. Er (Schw.) gewann bei seinen Anhängern neues Vertrauen und viele derjenigen Parteigenossen welche sich bis dahin von Ihm fern, und zur Internationalen Assotiation gehalten wurden confus, indem Schw. durch seine Agenten ausstreuen ließ: daß er mit den Internationalen vollständig in Uebereinstimmung handle u.s.w.

Die traurigen Früchte dieses Compromisses sind genügend | bekannt, und bedürfen weiter keines Comentars! Daß aber die Herren Liebknecht u Bebel durch den ersten Versuch mit einem Schweitzer! – Compromisse abzuschließen – nicht gewitzigt worden sind! – ist wirklich seltsam.

Die Reden Liebknechts und Bebels auf der vor 14 Tagen hier stattgehabten Schw. Generalversammlung sind von vielen Parteigenossen, und im Verein selbst mit Freuden begrüßt worden man hatte bedeutend Bresche geschossen; als Beweiß diene: daß von 11000 Stimmen 4500 Stimmen Schweitzer ein Vertrauensvotum vorenthalten haben.

Anstatt nun aber diesen Sieg auszunutzen, bieten die Herren B. u L. im Demokratischen Wochenblatt Herrn J. B. v. Schweitzer ein neues Compromiß an.

„Die Folgen dieser Handlungsweise werden nicht ausbleiben.“

Wir Parteigenossen hierselbst sind der festen Ueberzeugung daß:

Die Arbeiterbewegung oder | beßer gesagt: die Social-Demokratische Bewegung in Deutschland erst dann wieder ihren naturgemäßen Verlauf nehmen kann, wenn – Compromiße mit Social-Demokraten à la Schweitzer & Tölcke & Co gar nicht mehr gedacht! – viel weniger gethätigt werden können.

Unser Wahlspruch ist:

„Einigung der Bewegung Hand in Hand mit der Internationalen Assotiation soweit es augenblicklich die Vereinsgesetze zulassen.“ Unablässiger Kampf gegen das schmutzige Komplot Schweitzer & Consorten.

Für sich und im Auftrage von Parteigenossen grüßt Sie mit demokratischem Gruß bis 1860 Ihr Exilgenosse

Hugo Hillmann

Elberfeld 15 April 1869.

Beifolgend zwei Broschüren: die Reichstagswahl ist von liberaler Seite geschrieben aber wahrheitsgetreu die Genfer Broschüre ist wahrscheinlich von der Gräfin Hatzfeld inspirirt.

Der Obige

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Soweit aus der Fotokopie zu ersehen ist, besteht der Brief aus einem Bogen weißem, vergilbtem Papier. Hillmann hat alle vier Seiten vollständig beschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Archivsignatur des Moskauer Marx-Engels-Instituts (IMĖ) auf allen beschriebenen Seiten oben links: „Rj 86a–d“ (nur schwach zu erkennen).

Von unbekannter Hand: Datumsvermerk oben rechts auf der ersten Seite mit Bleistift: „15/4 69“.

 

Zitiervorschlag

Hugo Hillmann an Karl Marx in London. Elberfeld, Donnerstag, 15. April 1869. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0001003. Abgerufen am 19.04.2024.