| Hannover, 14. Februar 1869

Mein hochverehrter, lieber Freund!

Freitag Abend war ich schon in Begriff Ihnen zu schreiben, als mir einfiel, daß des Sonntags wegen, der Brief doch erst Montag in Ihre Hände gelangen würde u. so unterblieb es. Aufrichtig gesagt, ich fürchtete, daß Carbunculose oder drgl. wieder ihren unheimlichen Besuch bei Ihnen machten. Daß dies nicht der Fall, davon überzeugen mich Ihre Bilder, mit denen Sie mir eine wahrhaft große und freudige Überraschung bereitet haben. Sie sind auf beiden Bildern vorzüglich und wir danken Ihrem liebenswürdigen Töchterlein für diesen Besuch in effigie, dem wir bald den in natura nachfolgen sehen möchten. Auf die Gefahr hin unbescheiden zu erscheinen, möchte ich Sie nun noch mit der privateigenthümlichen Bitte belästigen, mir auch noch einen  Nachweis und Abdruck der zwei Fotografien (Digitalisate siehe hier), gewidmet „Frau Dr. Kugelmann zur freundlichen Erinnerung. London 11. Febr. '69 und „Meinem Freunde Dr. Kugelmann. London 11. Feb. 1869“ (RGASPI. Sign. f. 1 op. 1 d. 2390 u. d. 2391) in: Karl Marx, Friedrich Engels. Sobranie fotografij. Moskva 1976. Abb. 7 und 8. S. 75–78 und Beschreibung S. 133–137. bzw. Familie Marx privat (2005). S. 78/79.
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Abdruck von dem Bilde, welches Sie meiner Frau schickten, zu verehren (auf dem Sie das Lorgnon in der Hand halten u. Fräul. Jenny die Hände auf Ihrer Schulter kreuzt)
. Sowohl Ihr Bild als das Ihres lieben Töchterchens ist freundlicher und ich möchte dies Photogramm gern auf meinen Schreibtisch stellen, um es stets vor mir zu haben. Bitte suchen Sie aber einen guten Abdruck aus, auf dem die Mitteltöne auch schön sind. Wenn Fräul. Jenny dann noch die Freundlichkeit haben wollte auf der Rückseite Ihrem Namen, den ihrigen beizufügen, dann würden sie den historischen Werth dieses Geschenkes beträchtlich erhöhen.

Da sehen Sie nun, mit welch unbescheidenen, lästigen Burschen Sie zu thun haben. –

 Siehe Marx an L. Kugelmann, 11.2.1869.
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Der Brief von Ruge einl. mit vielem Dank zurück
. – Ruge’s Unterscheidung zwischen „Menschen u. Zeitungsschreibern“ ist nicht übel. Merkwürdig von einem solchen Manne – nach dem Studium Ihres  Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867. Siehe Erl. zu Marx an J. Ph. Becker, zw. 9. u. 15.1.1866: „1200 Seiten Manuscript“. (MEGA2 II/5).
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Werkes
– der Schlußsatz, daß er nicht begreift, daß der Grund, warum Franzosen u. Spanier, sobald sie ihren Herrn verloren | haben, schleunigst einen wieder über sich setzen, eben in den Classengegensätzen beruht. Wenn ich von der Bornirtheit deutscher Professoren auch schon manches Specimen erlebt habe, so muß ich doch sagen, daß die Logik des Herrn Held von Bonn die kühnsten Vorstellungen übertrifft. – „Das Kapital“ ein Klang u. zwar ein „Nachklang“, mit Engels Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Leipzig 1845.
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Buch
, das 1845 erschien „in naher Verbindung“ u. deshalb ein Nachklang von 1848. – Außer der Eigenschaft „Nachklang“ zu sein u. diese „nahe Verbindung“ zu haben ist es „zugleich für die Gegenwart höchst interessant, weil“ – es Aufschluß über Lasalle’s (der längst der Vergangenheit angehört) Meister giebt. – Horribel! –

Vor einigen Monaten bat ich Meißner um eine Gefälligkeit für den Ihnen bekannten, Maler Hansmann u. erkundigte mich zugleich, wie es mit Ihrem Buche gehe. – Er schrieb mir etwa in demselben Sinne, wie Sie mir aus seiner Correspondenz mittheilen.  Abdruck nach der handschriftlichen Kopie von Gertrud Kugelmann in: Dlubek, Skambraks: „Das Kapital“ von Karl Marx in der deutschen Arbeiterbewegung (1967). S. 146-147.
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Was ich ihm darauf antwortete, einliegend abschriftlich
. – Lassen Sie sich durch nichts in der Freudigkeit bei Ihrem grossen Werke stören. Solche Forschungen, deren Resultate schon lange von den bevorrechteten Schichten fürchtend, von der enterbten Classe hoffend geahnt wurden, brechen sich stets nur allmählig Bahn, aber sie stehen als Grenzpfeiler jener mächtigen Geschichtsepochen, die nach Jahrhunderten zählen, als ewige Ruhmessäulen ihrer Schöpfer. –  Teil der Schlußsentenz des Vorwortes im „Kapital“: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867. S. XII. (MEGA2 II/5. S. 15). Siehe Erl. zu Marx an J. Ph. Becker, zw. 9. u. 15.1.1866: „1200 Seiten Manuscript“. (MEGA2 II/5).
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Segui il tuo corso!
– 1786 machte Galvani seine Entdeckung, 1833 legten Weber u. Gauß den ersten Telegraphen an, 1838 fand Steinheil die Fähigkeit der Erde als Leiter für den Strom. Wie lange dauerte es noch bis zur Verallgemeinerung der elektrischen Telegraphie, deren Nutzen gerade für die herrschenden Classen doch so groß? 1763 machte Watt seine erste große Entdeckung 1803 wurde das erste Dampfboot durch Fulton auf der Seine in Cours gesetzt, er fand keinen Anklang in Europa u. erbaute das zweite 1807 in New York. Wie lange währte es bis zur Verallgemeinerung dieser Neuerung oder gar bis zur Anwendung u. Herrschaft der Eisenbahnen? – Segui il tuo corso! –

|  Marx hatte 1865/1866 das französische Original exzerpiert: Ad[olphe] Quételet: Du système social et des lois qui le régissent. Paris 1848. (Siehe MEGA2 IV/18. S. 270–272 und Marx an L. Kugelmann, 3.3.1869.).
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Dieser Tage fällt mir: Ad. Quételet: Zur Naturgeschichte der Gesellschaft (deutsch v. Adler) Hamburg 1856. Hoffmann u. Campe) in die Hände.
– In der Vorrede sagt der Verfasser: „Die polit. Oeconomie ist nur ein einzelner Zweig der den Menschen betreffenden Wissenschaften; sie beschränkt sich auf die Untersuchung der Production, Vertheilung u. Consumtion der Reichthümer. Sie prüft in absoluter Weise die meisten großen Probleme, die das materielle Leben eines Volkes betreffen. Keine Wissenschaft hat aber bis jetzt die Principien des Gleichgewichts, der Bewegung u. Erhaltung untersucht, die zwischen den verschiedenen Theilen des gesellschaftlichen Systems bestehen“. Was meinen Sie, wenn Sie dem Quételet mit einigen verbindlichen Zeilen  Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867. S. XII. (MEGA2 II/5. S. 15).
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Ihr Buch
zusendeten?

Vor einigen Tagen erhielt ich im Auftrage von Liebknecht ab Berlin 6 Exempl. von  Karl Marx: Herr Vogt. London 1860.
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Herr Vogt
. Auf Anfrage schreibt mir Liebknecht, es sei dies auf Ihre Veranlassung geschehen. Wünschen Sie, daß etwas damit geschehe?

Welchen Einfluß hat der Tod von Jones auf die Arbeiterbewegung?

Ich komme wiederholt auf meine frühere Bemerkung zurück, daß der Mangel eines, möglichst detailierten Sachregisters der täglichen Brauchbarkeit  Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867. S. XII. (MEGA2 II/5. S. 15).
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Ihres Buches
erheblich nachtheilig ist. Haben Sie Niemand der ein solches anfertigen könnte? Wenn ja, dann halte ich ein solches Register für so wichtig, daß ich wünschen möchte, dasselbe separat veröffentlicht zu sehen (einstweilen bis zur Vollendung des Ganzen),  Die Manuskripte für eine Fortsetzung des „Kapital“, an denen Marx bis zum Ende seines Lebens weiterarbeitete, wurden erst nach seinem Tod von Engels veröffentlicht. Ausführlicher dazu siehe hier.
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wenn Bd. II noch lange auf sich warten läßt.
– Denken Sie sich den Gelehrten, den Politiker, den Abgeordneten, den Industriellen, den Zeitungsschreiber, den Agitator, endlich jeden wissenschaftlichen Menschen, der Ihr Urtheil über eine bestimmte Frage rasch wissen oder das Material, welches Sie bieten, benutzen will. – Ich bitte Sie, verehrter Freund, dies mal in ernstliche Erwägung zu ziehen.

| Sie vergaßen mir zu sagen, welche Pläne Engels für demnächst hat. –

Haben Sie keine Reisepläne für nächsten Sommer? –

Zum Schluß Ihnen und den lieben Ihrigen meine herzlichsten Glückwünsche zu dem neuen Ankömmling in Paris. – Möge er zu Aller Freude heranwachsen u. seines Großvaters würdig werden! Fränzchen läßt fragen, wie der „kleine Junge in Paris“ heißt? Gleichzeitig Lafargue meine Gratulation zur „Entbindung“ von 3 Prüfungen. – Laß er sich nur von aller Agitation fern halten, bis er seine Examina hinter sich hat. –

Nun für heute, Lebewohl, mein lieber Freund! Erfreuen Sie mich auch in diesem Jahre recht oft mit Ihren lieben Nachrichten u. bedenken Sie, daß ich außer aller Communication mit Gleichgesinnten stehe. – Möge es Ihnen u. den lieben Ihrigen stets so wohl ergehen, wie es von Herzen wünscht

Ihr
treu ergebener
L. Kugelmann
Dr

Folgender Abschnitt geschrieben von Gertrud Kugelmann

Lieber Herr Doctor, meinen herzlichsten Dank für Ihre freundliche Sendung des Photogramms, das mir große Freude macht. Hoffentlich wird mir bald Gelegenheit mich zu überzeugen, daß das Bild Ihrer Tochter so ähnlich ist, wie das Ihrige Ihnen, das mir in seinem Ausdruck all die schönen mit Ihnen zugebrachten Stunden wach ruft. Noch meine herzlichste Gratulation zu Ihrem Enkelchen Ihnen und lieber Frau Gemahlin und mit besten Grüßen

Ihre Gertrud Kugelmann.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Zeugenbeschreibung

Soweit aus der Fotokopie zu ersehen ist, besteht der Brief aus einem Bogen weißem, leicht vergilbtem Papier. Auf allen Seiten scheint der Text der Rückseite durch, was die Lesbarkeit erschwert. L. Kugelmann hat die ersten drei Seiten vollständig, die vierte Seite zu zwei Dritteln beschrieben (davon die zweite und vierte Seite jeweils quer). G. Kugelmanns Zeilen „Lieber Herr Doctor ... Ihre Gertrud Kugelmann.“ sind im unteren Viertel der vierten Seite ebenfalls quer notiert. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Anmerkungen zum Brief

Marx beantwortet den Brief am 3. März 1869 (Marx an L. Kugelmann, 3.3.1869)

 

Zitiervorschlag

Louis und Gertrud Kugelmann an Karl Marx in London. Hannover, Sonntag, 14. Februar 1869. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000936. Abgerufen am 20.04.2024.