| New-York
20 Rennwick str.
24 novemb ’68

Lieber freund,

ihren brief vom 28 octob. erhalten. Meine ernennung hatten Jessup und ich im Beehive gelesen; wir wundern uns beide, daß der General Rath im blatte nicht mehr erwähnt wird. Jess. hat mit mir noch niemals über Sorge gesprochen; jede gefahr, die er hätte schaffen können, scheint nun beseitigt. Drury hatte ich vor 6 wochen gelegenheit mehrere stunden bei Sorge, in dessen haus ich noch bin, zu beobachten. Sorge ist präsident einer Englisch Säkularisten-loge in N-Y.; mit mitgliedern dieser atheistischen geheim-verbindung steht Dr in verbindung; ob er auch dazu gehört kann ich nicht sagen. Dr machte keinen angenehmen eindruck auf mich; ich vermißte den ernst und die begeisterung, welche durch die worte hindurch scheinen sollen; statt dessen verleugnete er auch im gespräch nicht den redner und floß von so edlen worten über, daß er mir zu Sorge zu passen schien. Von der I.A.A. wollte er nicht all zu viel sprechen; ich fragte ihn, ob er mitglied sei (er hatte sich als solches bei einer öffentlichen versammlung einmal einführen lassen) er erwiederte, daß er lange mit einem mitgliede des Gen. Raths korrespondirt habe, mit welchem er auch in London viel verkehrt habe, daß er sich aber nicht gern an eine bestimmte geselschaft binde. – Jessup kommt öfter mit Dr. zusammen; auch ich werde wohl jetzt ihn öfter zu sehen bekommen. J. scheint wenig selbstständiges urtheil zu haben und ist jedenfalls vorsichtig und diplomatisch. Wenigstens über theoretische fragen spricht er sich niemals entschieden aus. Er hat jetzt wieder | angefangen, als zimmerman zu arbeiten, weil er in 1 jahre 300 dollar an nicht wieder erstatteten auslagen habe zusetzen müssen und entschlossen sei, die interessen seiner familie nicht mehr hinten an zu setzen. Die politische thätigkeit, welche zu beginnen auf dem letzten kongreß die arbeiter beschlossen haben, geht hier sehr langsam vorwärts. Ein paar kandidaten, aufgestellt für die Assembly in Albany, wurden schmählich geschlagen. J. hatte gerathen, klein an zu fangen und Assistant Aldermans auf zu stellen; vielleicht wird für die Stadt-Wahlen am 2. Decemb. etwas erreicht. Nachdem die vereinigung der piano-fabrikanten so schroff gegen den verein der Deutschen pianomacher vorgegangen, haben kürzlich am 21 Nov die Cigarren-fabrikanten einen ähnlichen streich begonnen. Im verlauf der unterhandlungen über preise, stellten sie plötzlich das verlangen, die arbeiter sollten den verein (meistens Deutsche) verlassen; sie beschlossen nach dem 27ten keinen vereins-arbeiter mehr an zu stellen. Bis zu diesem tage hofften sie die alten vorräthe aufgearbeitet zu haben. Die arbeit wurde sogleich aufgegeben und die arbeit ist ganz eingestellt. Doch ist mißerfolg zu fürchten. Es sind viele außerhalb des vereins (natürlich genug in einem geschäftszweige, wo hauptsächlich Deutsche arbeiten)

Böhmen und Chinesen unterbieten alle andern arbeiter und frische grüne arbeiter sind schnell angelernt. Alles hängt von dem stand der geschäfte ab, worüber hier selten etwas klares zu erfahren ist. Nach den geringen aussichten in bergbau-spekulation zu schließen, ist von prosperität so bald noch nicht die rede. – Sie bekommen zuweilen | das deutsche Arbeiter-blatt, weil seit dem wechsel des redakteurs die nachrichten über Amerikanische arbeits-verhältnisse besser darin gesammelt sind. Die leitartikel sind kläglich, wenn auch etwas weniger schuftig, als unter dr. Landsberg. Der jetzige redakt dr. Ad. Douai, viel-schreiber und viel-redner, haupt-agitator für freie gemeinden, lehrer und eigenthümer einer schule, special-freund von Sorge und diesem nur zu ähnlich, wollte mich gern als mitarbeiter haben. Ich lehnte es wolweislich ab, trotzdem od. weil Sorge darauf rechnete. – Die verhältnisse müssen anders werden, ehe Vogt und ich unter den Deutschen einfluß gewinnen. Das experiment mit der Social Partei hat uns viel geschadet. Doch werden wir beide in ein paar wochen im kleinen und langsam anfangen, eine sektion der I.A.A. zu gründen; mit denen wir bisher zusammen gearbeitet haben, ist weiteres handeln unmöglich; die spießbürgerlichen ansichten herschen bei den meisten vor und der dünkel ist zu groß, als daß sie zum lernen kämen.

Pelletier will ich zu sprechen suchen.

An Randall, Boston Mass. habe ich noch nicht geschrieben.

Sie lesen gewiß die circulare des neuen präsidenten der Nat. Lab. Union, Sylvis, den Eccarius nach den korrespondenzen im Demoktatischen Wochenblatt zu kennen scheint. Er war in England und scheint, mit den Europäischen verhältnissen vertraut. Seine ansichten über das neue geld-system, die auch in die platform der N. L. U. übergegangen sind, wurden von einem delegaten des arbeiter-kongresses, Hine, in einem minoritäts | gutachten bekämpft. Dieses suchen der übel im gelde hat hier seine wurzel in einem buche von Kellogg: „The New Monetary System“ welches ich mir jetzt verschafft habe. Auf diesem punkte ritt auch General S. Cary herum, der im Congreß als arbeiter-kandidat war, nun aber auch schmählich bei der wahl geschlagen worden ist; ebenso verficht die ‘Revolution’ diese ansichten. Natürlich hat Douai nicht verfehlt, in dem deutschen blatte, dasselbe zeug zu vertheidigen. – Jede verbindung mit leuten aus der Amerikanischer arbeiter-bewegung bringt mir zum bewußtsein, wie nothwendig eine übersetzung des buches ins Englische ist; die artikel der Times über die I.A.A. waren für jeden aufmerksamen leser fingerzeige für die bedeutung der Europäischen arbeiter-agitation; dennoch habe ich in der hiesigen presse nichts gelesen; Pillsbury von der Revolution fand es offenbar nicht bedeutend genug, um hier darauf ein zu gehen. Eine zusammenstellung der debatten und beschlüsse des kongresses in Brüssel, wie sie jetzt vom New-Yorker kongreß erschienen sind, würde hier gelesen und beachtet werden. – Bitte, überlegen sie, auf welchem wege die I.A.A. hier einfluß auf die gedanken der leiter gewinnen kann. Die geldmittel der N. L. U. sind sehr beschränkt; an einen delegaten zum Europäischen kongreß ist nicht so bald zu denken –

Ich halte Dietzgen auch für genial im eminentesten sinne. Wir lesen No 3 und 4 im Demokratischen Woch. früher als 1. und 2. Vogt behauptete sogleich, daß der schreiber schon seit vielen jahren auf diesem gebiete gedacht haben müsse, um das buch so schnell in fleisch und blut um zu setzen und zu verdauen. Er will Liebknecht schreiben, daß der gerbergeselle immerhin zum meister gemacht werden könne. Wie kann ich den wohnungs-wechsel von Rußland nach dem Rhein verstehen? Schreiben sie mir zuweilen über sein persönliches wol ergehen; für mich haben so großartig entwickelte geister ein psychologisches interesse; der mensch ist für mich ein ganzes.

Ihr
S. M.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Briefkontext

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen mittelstarkem, weißem Papier im Format 250 × 205 mm. Prägung: Ein Wappenschild und eine Krone. Alle vier Seiten hat Meyer vollständig beschrieben, die letzte Passage („der gerbergeselle ... Ihr S. M.) wurde auf der ersten und vierten Seite oben kopfstehend geschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Archivsignatur des Moskauer Marx-Engels-Instituts (IMĖ) auf allen beschriebenen Seiten: „Rj 40a-d“.

Anmerkungen zum Brief

Meyer beantwortet Marx’ Brief vom 28. Oktober 1868 (Marx an S. Meyer und A. Vogt, 28.10.1868).

 

Zitiervorschlag

Sigfrid Meyer an Karl Marx in London. New York, Dienstag, 24. November 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000847. Abgerufen am 19.04.2024.