| Genthiner Str. 16.
Berlin, 9. April
1868.
Lieber Marx,
Danke bestens für die übersandten „Beehive“ & „Reynold’s Newspaper“. Sie würden mich verbinden, Ihrem news-vendor meine Adresse aufzugeben und ihn zu veranlassen, mir beide Blätter regelmäßig zu schicken. Er kann mir auf dem Couvert der nächsten Sendung (11. April) seine Adresse mittheilen, damit ich ihm den Betrag der Portoauslagen etc. remittiren kann.
Das in der „Beehive“ abgedruckte Cirkularschreiben des
Oberst
T.
C. Maude werde ich nächsten Mittwoch
höchst effectvoll verwerthen und nebst einem gegen die
Versöhnungspolitik der „Volkszeitung“ gerichteten
Commentar in der „Zukunft“ zum Abdruck
bringen. Die „Zukunft“ hat sich zwar in einer durch die
„Norddeutsche Allgemeine“ hervorgerufenen
Gefühlsaufwallung ihres Chefredacteurs zu der Erklärung
hinreißen lassen, mit der im „Socialdemokrat“ verkörperten
Arbeiterpartei kein Bündniß schließen zu wollen, doch ist
diese Erklärung, die dem guten Guido Weiss sehr
verdacht worden ist, rein buchstäblich zu nehmen. Leider
Gottes ist sie finanziell nur zu sehr abhängig von ihrem
Gründungscomité, Die Spandauer Straße in
Berlin war das traditionelle Wohngebiet der
Liebermannschen Familie und geprägt von den
jüdischen Bewohnern des Viertels. Vermutlich ist
hier Philipp
Liebermann gemeint, dem 1860 aufgrund
seiner Verdienste auf dem Gebiet der
Kattunfabrikation, das Patent eines Königlichen
Kommerzienrates verliehen wurde. Wohnung und
Geschäftslokal befanden sich in der in der
Spandauer Straße 59. Weniger wahrscheinlich ist,
daß es sich um Benjamin Liebermann handelt, Teilhaber
einer Kattunfabrik, -färberei und -warenhandlung
in der Spandauer Straße 30 in Berlin, da dieser
erst am 11. April 1868 zum Geheimen Kommerzienrat
ernannt wurde. Siehe Marina Sandig: Die Liebermanns. (Neustadt/Aisch).
2005. S. 38-56, 65-93. – „Jacobyten“ =
Anspielung auf Johann
Jacobi.
Schließen darunter der
calico printer Geheime Commerzienrath
Liebermann und andere „Jacobyten“
unter den Juden der Spandauerstraße. Es ist schade, daß
die 1000 Abonnenten, welche die „Volkszeitung“ regelmäßig
von Vierteljahr zu Vierteljahr
| einbüßt, nicht ihr
zufallen, sondern der „Staatsbürgerztg“.
Über Adolf
Held.
Schließen Held
übrigens bin ich vollkommen Ihrer Ansicht und namentlich
finde ich es stark, daß er die bewußte partie honteuse
seines Lebens zum Gegenstand eines öffentlichen Vortrags
gemacht hat. Andererseits freut mich, daß die Wuth der
Nationalliberalen etc. über seine finanziellen &
demagogischen Erfolge um so intensiver ist.
Wagener steht ebenso fest wie Stieber, die Affairen Dühring & Trabert mögen einen Ausgang nehmen, welcher Art es sein wolle.
Besten Dank für Ihre Notizen über den Handelsvertrag. Die jetzige Stagnation in Frankreich will auch ich nicht aus demselben herleiten, sondern aus dem schwindelhaften napoleonischen Handelscreditsystem, für dessen Kritik Newmarch das nöthige Material zusammengestellt hat. Den von Newmarch präcisirten 4 Puncten (Convertirung der Rente; Privat-, Gemeinde- & Staatsbauunternehmungen; crédit mobilier und Vermehrung des Capitals der Staatsschuld) lassen sich die Handelsverträge vortrefflich als nichtofficielle „Krönung des Gebäudes“ anreihen.
Schulze
Delitzsch kommt nächste Woche als
„Karlchen
Miessnick“ in die „Zukunft“, vorausgesetzt, daß Guido Weiss mein
eigenes Referat über meinen nächsten Vortrag aufnimmt. Auch
den Referenten der Norddeutschen werde ich um
Aufnahme des „Miessnick“ ersuchen, ihm wird der Vergleich
für sein Hermann
Wagener und August
Braß.
Schließen wagenerlich-brassisch gefärbtes Referat
ganz gut
| passen. Mich machte er in der Ihnen
übersandten No. zum Lobredner der Verwaltung der
Hauptbank.
Vorher besuchte mich Dr
Peter Adolf
Reincke.
Schließen Reinke, dessen Antrag,
daß dem Reichstag die Befugniß der Einsetzung
parlamentarischer Untersuchungscommissionen über sociale
Verhältnisse verliehen werden möchte, bald nach Wiederbeginn
der Sitzungen zur Verhandlung kommt. Der Referent,
Statistiker Geh. Rath Engel wird
den Antrag befürworten, und es ist
Aussicht vorhanden, daß er durchgeht. Dann würde es sich
darum handeln, der Regierung zuvorzukommen und einen
Gesetzentwurf einzubringen, der so tief eingreifende
Bestimmungen enthält, daß das Kokettiren endlich einmal
aufhört, und die Regierung sowohl, wie die Parteien
gezwungen werden, Stellung zu nehmen. Die Regierung, soweit
es sich um die sonst beliebte Proclamirung und Anwendung des
„Amtsgeheimnisses“ handelt, die Industriellen etc. der
diversen Parteien durch die Entscheidung über die Frage, ob
sie sich auf eine andere als bloß landräthliche Weise in die
Karten kucken lassen wollen oder nicht. Reinke fragte mich, ob ich
ihm vielleicht das Material nachweisen könnte, welches in
den blue books enthalten sei, um sich daraus zu informiren,
resp. mit Hülfe eines Juristen einen Gesetzentwurf
zusammenzuschmieden. Wir haben hier in der Königlichen Bibliothek alle officiellen englischen
Actenstücke und Documente, und wenn Sie mir die Titel
derjenigen angeben könnten, in welchen wir das nöthige
Material vorfinden und, wenn es Ihnen paßt, auch einige
Winke aus Ihrer Praxis hinzufügen würden, so würden wir
| beide Ihnen sehr verbunden sein. Ich habe Reinke
übrigens nicht gesagt, daß ich deshalb an Sie schreiben
würde. Sie kennen ihn vielleicht schon durch Liebknecht,
der noch immer den Reichstag Reichstag sein läßt und seinen
Sitz noch nicht eingenommen hat. Es ist der einzig passende
Gegencandidat gegen Hermann
Schulze-Delitzsch.
Schließen Schulze-Del.
für die
nächste Berliner Wahl, und mein aufrichtiger Wunsch ist, ihn
durch einen derartigen Gesetzentwurf hier populär zu machen,
was ihm bisher noch fehlt. Würde es gelingen, Reinke hier
durchzubringen, – ich glaube, nächstes Jahr ist „Wiederwahl“, – so wird
Waldeck und die ganze Blase nach &
nach beseitigt. Bitte, unterstützen Sie uns darin so viel
als möglich.
An Mad. Laura Lafargue meinen herzlichen Glückwunsch.
Hoffentlich wird Ihr Unwohlsein das Erscheinen des 2. Bandes nicht zu lange verzögern. Ist derselbe bereits druckfertig, vielleicht schon unter der Presse?
Besten Gruß an Ihre Familie von Ihrem
Wm Eichhoff.P. S. Meine Bitte um Titelangabe der einschlägigen Actenstücke erstreckt sich selbstverständlich auf acts, reports & papers. Ich beabsichtige bei Zusammenstellung des Materials mitzuhelfen.
Zitiervorschlag
Wilhelm Eichhoff an Karl Marx in London. Berlin, Donnerstag, 9. April 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000607. Abgerufen am 16.05.2022.