| Hannover, 5 Febr 1868

Mein hochverehrter, lieber Freund!

 Die Beilagen sind nicht überliefert. Es handelt sich um „Die Zukunft“. Nr. 7, 1. Februar 1868. Beil. Sp. 1/2 in der Rubrik „Local-Nachrichten“: –s.–: „Am Donnerstag Abend fand in dem Saale des Universum in der Brunnenstraße unter Vorsitz des Herrn Hörig eine Versammlung der Berliner Cigarrenarbeiter statt. Es hatten sich wohl über 800 Personen eingefunden, so daß der geräumige Saal bis auf den letzten Mann gefüllt war. Die Veranlassung zu dieser Versammlung und zu der starken Betheiligung an derselben hat der Umstand gegeben, daß die Berliner Cigarren-Fabrikanten auf Veranlassung des sogenannten 'geselligen Cigarren-Fabrikanten-Vereins' in der letzten Zeit den Versuch gemacht haben, in die Berliner Cigarren-Fabriken eine neue Fabrikordnung mit theilweise für die Arbeiter außerordentlich nachtheiligen, erniedrigenden und entehrenden Bestimmungen einzuführen.Wir heben aus dieser Fabrikordnung namentlich folgende Bestimmungen hervor: § 6. Der Arbeiter kann, ohne die gesetzlich vorgeschriebene 14tägige Kündigungsfrist inne zu halten, seine Arbeit einstellen; ebenso steht es dem Arbeitgeber jeder Zeit frei, seine Arbeiter zu entlassen. § 7. Es werden nur solche Cigarrenarbeiter angenommen, die einen mit dem Firmastempel versehenen Entlassungsschein ihres früheren Arbeitgebers beibringen, und endlich den von den Arbeitern recht drastisch als den Spitzbubenparagraphen bezeichneten § 9. Das Mitbringen von Körben, das Tragen von Krinolinen während der Arbeitszeit, sowie das Kämmen der Haare in den Fabrikräumen ist untersagt. Dem Fabrikherrn und dessen Stellvertreteter steht das Recht zu, zu jeder Tageszeit die Arbeiter, resp. Arbeiterinnen visitiren zu lassen. Ein Sturm der Entrüstung hat sich in Arbeiterkreisen gegen diese Bestimmungen erhoben, um so mehr als man von den Arbeitern verlangte, dieselben mit ihrer Unterschrift zu versehen, und im Weigerungsfalle, wie das namentlich in der Fabrik eines Herrn Martinzen geschehen ist, die Arbeiter entlassen hat, eine Maßregel, die um so härter ist, als Jedem der auf diese Weise entlassenen Arbeiter die Aufnahme in den Fabriken der anderen zu jenem 'Fabrikanten-Verein' gehörigen Fabrikanten verweigert worden ist. – Sämmtliche Redner in der Versammlung ergingen sich in den schärfsten Ausdrücken gegen diese von den Fabrikanten unter der Maske eines geselligen Vereins geschlossene Koalition und deren Maßnahmen. Alle waren darin einig, daß man sich dieser Fabrikordnung nie und nimmer unterwerfen dürfe, und nach längerer Debatte ... einigte man sich zu folgenden Beschlüssen: 1) Es wird ein aus 7 Mitgliedern bestehendes Comité gewählt [...] 2) Dies Comité hat Geldsammlungen zu veranstalten; jeder Cigarrenarbeiter verpflichtet sich bis auf Weiteres zu einem wöchtentlichen Beitrage von 5 Sgr.; diese Gelder sollen dazu verwandt werden, einmal denjenigen, die in Folge ihrerer Unterschriftsweigerung brotlos geworden sind und Berlin verlassen wollen, die Mittel zur Reise zu gewähren, sodann aber Taback anzukaufen und mit der Verarbeitung desselben zu Cigarren die hierbleibenden brodlosen Arbeiter zu beschäftigen; durch einen öffentlichen Aufruf sollen sämmtliche Arbeiter Berlins aufgefordert werden, ihren Bedarf an Rauchmaterialien aus diesem eigenen Fabrikat der Cigarrenarbeiter zu entnehmen. 3) Das Comité wird beauftragt, den sogenanten geselligen Cigarren-Fabrikanten-Verein wegen Coalition gegen die Arbeiter bei der Staatsanwatschaft zu denunciren, gleichzeitig aber denjenigen Meistern und Fabrikanten, welche dem Vorgehen des Fabrikantenvereins sich nicht angeschlossen haben, den Dank der Berliner Cigarrenarbeiter auszusprechen.“
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Lassen Sie sich von Borkheim die „Zukunft“ von 1 Febr (Beilage) u. von heute (Erste Beilage) geben.
Unter „Locales“ finden Sie Berichte über einen  Der Streik brach im Februar 1868 aus, als Protest der Zigarrenarbeiter gegen die neue Fabrikordnung, erlassen von den Berlinern Zigarrenfabrikanten. Insbesondere gegen das Recht der Fabrikanten, die Arbeiter zu jedem beliebigen Zeitpunkt einer Leibesvisitation zu unterziehen. Die arbeitslosen Arbeiter, mit Friedrich Wilhelm Fritzsche an der Spitze, bildeten eine eigene „Deutsche Cigarrenarbeiter-Kompanie“, die von den Arbeiterorganisationen und Konsumvereinen aus ganz Deutschland mit ihren Bestellungen unterstützt wurde. Der Streik dauerte bis Anfang Mai, als die Fabrikordnung zurückgezogen wurde. (Siehe: Willy Buschak: Friedrich Wilhelm Fritzsche. Nordenstedt 2015. S. 30/31.)
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Strike der Cigarrenarbeiter in Berlin
, für den auch bereits die Maschinenbauer sich interessiren u. der von principieller Bedeutung zu werden scheint. Die Redaction nimmt sogar in der „Politische[n] Übersicht“ des Hauptblattes Notiz davon. – Ich möchte Ihnen nun zu bedenken geben, ob es nicht zweckmäßig wäre, daß die Internat. Associat. den Berliner Cigarrenarbeitern eine Unterstützung,  Gemeint ist Streik der Pariser Bronzegießer von Ende Januar bis März 1867 für Lohnerhöhungen, auf den die Unternehmer mit Aussperrungen reagiert hatten. , Der Generalrat der Internationale hatte die streikenden mit Geldsammlungen und öffentlichen Erklärungen zu unterstützen versucht. Siehe Marx an Engels, 2.4.1867 („Unsere ‚International‘ hat einen grossen Sieg gefeiert.“ ) und Erl.) sowie die entsprechenden Sitzungsprotokolle des Generalrats der IAA (MEGA2 I/20. S. 537, 539, 541–545, 547, 557, 765 und 776).
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wie früher den Bronce-Arbeitern in Paris
zukommen lassen wollte. Es wäre das eine mächtige Propaganda für die Intern. Associat. gegenüber den kleinlichen Dimensionen des preuß. Staatssocialismus der Herren  Hermann Wagener.
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Wagner
u. v. Schweitzer u. gleichzeitig würden die Arbeiter sehen, daß der Verfasser  Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867. Siehe Erl. zu „1200 Seiten Manuscript“ in Marx an J. Ph. Becker, zw. 9. u. 15.1.1866. (MEGA2 II/5).
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des „Kapital
, der als Secretair für Deutschland diese Angelegenheit vermittelt, anderen Kalibers ist, als die „Vulgären“ bis auf  Hermann Schulze-Delitzsch.
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Schulze-Delitsch
herunter.

Sie könnten dann eine geeignete, die jetzige Lage kurz kritisirende Adresse beifügen, welche ihren Weg durch die ganze Presse machen würde u. Sie der jetzigen Generation, sofort wieder populär machte. –

 Demokratisches Wochenblatt.
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Liebknechts Blatt
ist vorzüglich.

Wie immer
Der Ihrige
L. Kugelmann
Dr

Meinen  L. Kugelmann an Marx, 4.2.1868
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gestrigen Brief
werden Sie erhalten haben. –

Verte

Folgender Abschnitt geschrieben von Gertrud Kugelmann

| Erinnern Sie sich, lieber Herr Doctor, daß  Marx besuchte Louis Kugelmann in Hannover vom 17. April bis etwa 14. Mai 1867, als er sein Manuskript des „Kapital“ nach Hamburg brachte.
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bei Ihrer Anwesenheit in Hannover
ein Skandal im zoologischen Garten die Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und daß Sie und ich, als wir hörten, daß gegen ein Mitglied des Verwaltungsraths Gewaltthätigkeiten dabei vorgekommen seien, uns wegen des Herrn  Hermann Schläger.
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Dr. Schläger
, da er ein solches ist, beunruhigten? Wir hatten die Freude zu hören, daß ihm kein Leides zugestoßen sei und solches war auch bis jetzt noch nicht der Fall.

Obgleich  Das Foto von Hermann Schläger ist nicht überliefert.
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beifolgende Photographie von ihm
, die ich heute bei einer Bekannten fand, aus dem Jahre 1863 stammt, so darf ich dennoch die angenehme Versicherung geben, daß Original noch jetzt in derselben zufriedenen Daseinsform existirt und in solcher fortfährt  Hermann Schläger war seit 1864 ehrenamtlicher Senator in Hannover und von 1867 bis 1888 für die Nationalliberale Partei Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
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eine Zierde der Stadt Hannover und des preußischen Landtages
zu sein.

| Von Ihrem in Aussicht stehenden Besuche, geehrter Herr Doctor, unterhalten mein Mann und ich uns oft und hoffen, daß derselbe sich verwirklichen wird. Noch meinen herzlichsten Dank für die bereits erhaltenen  Siehe Marx an L. Kugelmann, 11.1. und 30.1.1868.
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Bildchen Ihrer Fräulein Töchter
und für Ihr freundliches Versprechen mir noch bessere senden zu wollen, womit ich mich sehr freuen werde.

Mit besten Grüßen an Ihre liebe Familie und für Sie, geehrter Herr Doctor,

Ihre
Gertrud Kugelmann.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen mittelstarkem, weißem Papier im Format 287 × 215 mm. Die erste Seite hat Louis Kugelmann vollständig beschrieben; Gertrud Kugelmann hat die zweite Seite vollständig und die dritte Seite zur Hälfte beschrieben, die vierte Seite ist leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Von unbekannter Hand: Nummerierung des Briefes bzw. der beschriebenen Seiten mit Bleistift: „44a“ bis „44c“ (ausradiert).

Anmerkungen zum Brief

Die Kugelmanns beantworten Marx’ Brief vom 30. Januar 1868 (Marx an L. Kugelmann, 30.1.1868).

Marx’ Antwort erfolgte am 6. März 1868 (Marx an L. Kugelmann, 6.3.1868).

Die Beilagen („die 'Zukunft' von 1 Febr (Beilage) u. von heute (Erste Beilage)“; „beifolgende Photographie“) sind nicht überliefert.

 

Zitiervorschlag

Louis und Gertrud Kugelmann an Karl Marx in London. Hannover, Mittwoch, 5. Februar 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000547. Abgerufen am 20.04.2024.