| Mchr 16 Jan 1868.

Lieber Mohr

Ich finde so eben daß ich alle Deine Briefe zu Hause in einer andern Rocktasche gelassen habe (incl. den letzten Deines Haupthonourable Secretary wofür ich speciell danke) & ich muß also aus dem Kopf antworten.

Die Courriers français hast Du gestern erhalten. Auch das Wiener Tageblatt.

Den preuß. Bericht schicke ich Dir, mit specieller Erläuterung. Oder vielmehr, es ist nur nöthig die darin verzeichnete Skizze der Aufstellung am 28. Juni Abends anzusehn, um sich zu überzeugen, daß Benedek auf dem Raum von 2 Quadratmeilen 6 Corps vereinigt hatte (Cavallerie ungerechnet) denen vom Kronprinzen nur das 5te & 1 Brigade des 6t Corps gegenüberstand. Wäre B. am 29 losgegangen gegen Steinmetz (5. Corps) so wurde dieser über die Berge zurück auf das 6. Corps geworfen, & am 30. konnte B. in aller Ruhe die Garden & das I Corps mit 4 Corps mindestens angreifen & zurückwerfen, après quoi der vorsichtige Friedrich Carl sich sehr gehütet haben würde zu flott vorzugehn. Fr. Carl hatte 5 Corps, & würde mindestens 6 sich gegenüber gehabt haben; der Befehl für ihn zum Rückzug war aber sicher sobald die einzelnen 3 Kolonnen des Kronprinzen geschlagen waren, & damit nahm die Campagne einen ganz andern Charakter an. Daß die Oestreicher bei einiger Vorsicht der Preußen doch schließlich geschlagen worden, geht schon aus den Zahlen | verhältnissen hervor. Aber die preuß. Canaillen wären gezwungen worden ihr Lausesystem über den Haufen zu werfen, & es wäre nicht die Reorganisation & Bismarck gewesen die gesiegt hätten, sondern das Volk.

Der Cluseret (der ja auch in London Fenian gespielt hat) ist mit seinem Milizplan noch toller als die Deutschen. Der amerik. Krieg – Miliz auf beiden Seiten – beweist nichts als daß das Milizsystem ganz unerhörte Opfer an Geld & Menschen kostet weil eben die Organisation nur auf dem Papier besteht. Wie wäre es den Yankees gegangen wenn sie statt der südl. Milizen ein festes Heer von ein paar 100,000 Mann sich gegenüber gehabt hätten? Ehe der Norden sich organisirte, wären diese in NYork & Boston gewesen & hätten mit Hülfe der Demokraten den Frieden diktirt, wo dann der Westen hätte Secession spielen können. Der Kerl ist gut, wenn er sagt, die Hauptsache seien gute Offiziere & das Vertrauen der Leute in die Offiziere, was Beides beim Milizsystem ja gar nicht zu erschwingen ist! Was den Leuten beim Milizwesen überall imponirt, ist die große Masse der Leute die man auf Einmal bekommt, & die verhältnißmäßige Leichtigkeit die Leute auszubilden, besonders vor dem Feind. Das letztere ist aber nichts Neues, der alte Napoleon konnte auch 3Monats-Rekruten in Regimenter formirt vor den Feind führen, dazu gehören aber gute Cadres & dazu eben wieder etwas Andres als | das schweizerisch-amerik. Milizsystem. Die Yankees hatten am Ende des Kriegs noch sehr mangelhafte Cadres. Seit Einführung der Hinterlader ist es mit der puren Miliz erst recht am Ende. Womit nicht gesagt ist, daß nicht jede rationelle Milit. Organisation irgendwo zwischen der preußischen & schweizerischen in der Mitte liegt – wo? Das hängt von den jedesmaligen Umständen ab. Erst eine kommunistisch eingerichtete & erzogene Gesellschaft kann sich dem Milizsystem sehr nähern & auch da noch asymptotisch.

Wegen der Wiener Blätter bin ich einigermaßen in Verlegenheit; ich sehe zwar die Neue Freie Presse von Zeit zu Zeit, aber das ganze Terrain ist mir gar zu fremd. Was sind Deine Ideen darüber, auch wegen der Fortnightly? Die Sache ist der Mühe werth sie sich reichlich zu überlegen.

Hoffentlich sitzest Du wieder, & hast keine neuen vulkanischen Ausbrüche. Gumpert lacht über Deine Antipathie gegen Arsenik, sagt der müsse Dich grade munter machen, & ist überzeugt daß es kein besseres Mittel für Dich gibt. Willst Du aber platterdings nicht so solltest Du Säuren nehmen & zwar anhaltend, & so hat er Dir inl. noch einmal das bereits früher verordnete Königswasser verschrieben das Du dann wohl nehmen wirst.

Beste Grüße an Deine Frau & die Mädchen ditto Lafargue

Dein
F. E.

| Alberich daz starke getwerg gratulire ich hiermit ehrerbietigst zu seinem Geburtstage & leere augenblicklich ein Glas Bier auf seine Gesundheit. Den Cotton haben sie mir in der Fabrik verbummelt sodaß ich ihn werde erst morgen schicken können.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Absender

Briefkontext

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen festem, weißem Papier im Format 224 × 177 mm. Wasserzeichen: „[A Cowan & Sons /] 1866“. Prägung, nur noch schwach zu erkennen, auf der ersten Seite oben links: Blütenzweig. Die ersten drei Seiten hat Engels vollständig beschrieben, die vierte Seite nur mit fünf Zeilen. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Von Eduard Bernsteins Hand: Nummerierung des Briefes bzw. der beschriebenen Seiten: „361“ (schwarze Tinte) und „10,1“ bis „10,4“ (Bleistift); redaktionelle Vermerke (u. a. „bleibt“ auf der ersten und zweiten Seite am linken Rand, quer geschrieben) und Streichungen mit Bleistift.

Von unbekannter Hand: An- und Unterstreichung mit Blaustift auf der ersten Seite.

Von Heinrich Dietz’ Hand: Nummerierung des Briefes: „953“.

Anmerkungen zum Brief

Engels beantwortet Marx’ Brief vom 11. Januar 1868 (Marx an Engels, 11.1.1868) und Laura Marx’ Brief vom 13. Januar 1868 (L. Marx an Engels, 13.1.1868).

 

Zitiervorschlag

Friedrich Engels an Karl Marx in London. Manchester, Donnerstag, 16. Januar 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000526. Abgerufen am 23.04.2024.