| London, den 12ten Januar 1868
10. Brunswick Gardens
Kensington.

Lieber Marx,

Um meinen korrespondenzlichen Privatverpflichtungen nachkommen zu können, muß ich den Sonntag zu Hülfe nehmen. Meine Frömmigkeit bestand nemlich darin, daß ich mich Sonntags gewöhnlich in allen möglichen unbiblischen Büchern badete, um mir den sechstägigen Citydreck herauszuwaschen. Diesmal muß ich ihn wegschreiben, wobei ich allerdings nicht viel lernen kann. – Gestern schickte ich Ihnen die 3 Blätter zurück und danke Ihnen nun bestens, denn diese Besprechungen erleichtern mir das Verständniß Ihres Buchs – und auf schnelles Verständniß kommt es mir sehr an, denn time is money. Was der Dr. Dühring eigentlich sagen will, wenn er Ihre Anschauung von Kapital eine spezifische nennt, ist mir nicht klar. Es mußte doch dann eine unumstößliche Grundanschauung geben. Nun stoßen Sie ja um, was sich als solche ausgab und das giebt er auch eigentlich zu. Das Adjektivum spezifisch erscheint mir daher, wenn nichts Schlimmeres, ein lapsus calami. Oder bin ich nur Wortklauber? Wenn die Werthbestimmung nach dem mir unbekannten Macleod, wie Dr. D. sagt, nicht in der Arbeitszeit zu suchen, wo dann? Im Ganzen macht mir jedoch der Dr. D. den Eindruck, als wolle er Erörterungen herbeinöthigen u. so ists recht. – Meine eigenen Bemerkungen – nach Bucherschnodderig“ – müssen Sie nicht zu genau abwägen. In dieser Kardinalsache spricht nur | Instinkt aus mir. Studirt, wissen Sie, habe ich darin nichts. Darum aber grade gehöre ich zu denen, die Ihnen am meisten danken müssen für Ihre Arbeit. Daß ich den Gegenstand wissenschaftlich nicht zu bemeistern im Stande sein sollte, das anzunehmen, bin ich von Natur zu dreist. Aber die Zeit – die Zeit! Das Leben ist so kurz! Ich hoffe jedoch mich materiell wenigstens auf der Höhe der Druckbogenanzahl zu erhalten. Und am Ende kommt mir das Ding im Spiele! – Noch hat mein Russe das Manuscript nicht wieder ausgespieen. Ich mache mich nun nochmals an die Übersetzung. Was soll ich aber von dem Solowiewitsch denken; anderes nicht, als daß er gestorben ist, aber dann hätten doch seine Erben das Papier herausgeben sollen. Auch hätte ich trauernden Wirthsleuten ja recht gerne dagegen etwas auf schuldige Miethe gezahlt. – Liebknechts erstes Papierchen habe ich gestern erhalten. – Auch die erste Nummer der Herzenschen jetzt französisch erscheinenden „Cloche“. Ekelhaft! Endlich läßt er sich herab, Haxthausen zu erwähnen, sagt auch, Proudhons Ausspruch, die Polen verstünden nicht einmal anständig zu sterben, sei allerdings grausam. Kenner der „Perle“ werden sogleich erkennen, daß sie ihm schwer im Magen liegt. Er citirt Lassalle; nemlich irgend eine Dummheit, die diesem entwischt ist oder er giebt dem angeblich von ihm Gesagten eine böswillige Auslegung. Michael Bakunin wird als großer Philosoph aufgeführt. Was Herzen eigentlich will, ist nicht zu erkennen. Nichts als sich aufdrängeln! Man muß sich seiner mit Fußtritten entledigen, die ich ihm per Becker oder per Liebknecht zukommen zu lassen gedenke. – Was veranlaßt Sie dazu, mir zu rathen, Saturday Review einen groben Schreibebrief nicht zu schreiben? Das müssen Sie mir nächstens einmal mündlich erklären. Denn wenn man das Gelichter nicht hauen soll, wen soll man hauen? Zwar ist auch mein urquhartistischer Weinhändler Ihrer Ansicht, aber solche Passivität ist nicht in meinem Blute. Meine Frau und ich wir erwiedern Ihre und Aller der lieben Ihrigen Neujahrswünsche aufs Herzlichste! Ihnen aber vor Allem schnelle vollkommene Wiederherstellung und feste Gesundheit.

Ihr Borkheim.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Blatt dünnem, graublauem Papier im Format 211 × 273 mm. Beide Seiten hat Borkheim vollständig beschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

 

Zitiervorschlag

Sigismund Ludwig Borkheim an Karl Marx in London. London, Sonntag, 12. Januar 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000523. Abgerufen am 24.04.2024.