| London, den 12ten Januar 1868
10. Brunswick GardensKensington.
Lieber Marx,
Um meinen korrespondenzlichen
Privatverpflichtungen nachkommen zu können, muß ich den Sonntag zu Hülfe nehmen. Meine
Frömmigkeit bestand nemlich darin, daß ich mich Sonntags gewöhnlich in allen möglichen
unbiblischen Büchern badete, um mir den sechstägigen Citydreck herauszuwaschen. Diesmal
muß ich ihn wegschreiben, wobei ich allerdings nicht viel lernen kann. – Gestern schickte
ich Ihnen die 3 Blätter zurück und danke Ihnen nun bestens, denn diese Besprechungen
erleichtern mir das Verständniß Karl Marx: Das Kapital.
Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867. Siehe Erl. zu Marx an J.
Ph. Becker, zw. 9. u. 15.1.1866. „1200 Seiten Manuscript“. (MEGA² II/5).
Schließen Ihres Buchs –
und auf schnelles Verständniß kommt es mir sehr an, denn time is money. Was der Dr. Dühring
eigentlich sagen will, wenn er Ihre Anschauung von Kapital eine spezifische nennt, ist mir nicht klar. Es mußte doch dann eine unumstößliche
Grundanschauung geben. Nun stoßen Sie ja um, was sich als solche ausgab und das giebt er
auch eigentlich zu. Das Adjektivum spezifisch erscheint mir daher,
wenn nichts Schlimmeres, ein
lapsus
calami. Oder bin ich nur Wortklauber? Wenn die Werthbestimmung nach dem
mir unbekannten Macleod, wie Dr. D. sagt, nicht in der Arbeitszeit zu suchen, wo dann? Im Ganzen
macht mir jedoch der Dr. D. den Eindruck, als wolle er
Erörterungen herbeinöthigen u. so ists recht. – Meine eigenen Bemerkungen – nach Bucher „schnodderig“ –
müssen Sie nicht zu genau abwägen. In dieser Kardinalsache spricht nur
| Instinkt aus
mir. Studirt, wissen Sie, habe ich darin nichts. Darum aber grade gehöre ich zu denen, die
Ihnen am meisten danken müssen für Ihre Arbeit. Daß ich den Gegenstand wissenschaftlich
nicht zu bemeistern im Stande sein sollte, das anzunehmen, bin ich von Natur zu dreist.
Aber die Zeit – die Zeit! Das Leben ist so kurz! Ich hoffe jedoch mich materiell
wenigstens auf der Höhe der Druckbogenanzahl zu erhalten. Und am Ende kommt mir das Ding
im Spiele! – Noch hat mein Russe das Manuscript nicht wieder ausgespieen. Ich mache mich
nun nochmals an die Übersetzung. Was soll ich aber von dem Solowiewitsch denken; anderes nicht, als daß er
gestorben ist, aber dann hätten doch seine Erben das Papier herausgeben sollen. Auch hätte
ich trauernden Wirthsleuten ja recht gerne dagegen etwas auf schuldige Miethe gezahlt. –
Liebknechts erstes Demokratisches Wochenblatt.
Schließen Papierchen habe ich gestern
erhalten. – Auch die erste Nummer der Herzenschen jetzt französisch erscheinenden „Cloche“. Ekelhaft! Endlich läßt er sich herab, Haxthausen zu erwähnen, sagt auch, Proudhons Ausspruch, die Polen verstünden nicht
einmal anständig zu sterben, sei allerdings grausam. Kenner der „Perle“ werden sogleich erkennen,
daß sie ihm schwer im Magen liegt. Er citirt Lassalle; nemlich irgend eine Dummheit, die diesem entwischt ist oder er
giebt dem angeblich von ihm Gesagten eine böswillige Auslegung. Michael Bakunin wird als großer Philosoph
aufgeführt. Was Herzen eigentlich will, ist nicht zu erkennen. Nichts als sich aufdrängeln! Man muß
sich seiner mit Fußtritten entledigen, die ich ihm per Becker oder per Liebknecht zukommen zu lassen gedenke. – Was
veranlaßt Sie dazu, mir zu rathen, Saturday
Review einen groben Schreibebrief nicht zu schreiben? Das
müssen Sie mir nächstens einmal mündlich erklären. Denn wenn man das Gelichter nicht hauen soll, wen soll man hauen? Zwar
ist auch mein urquhartistischer Weinhändler Ihrer Ansicht, aber solche Passivität ist
nicht in meinem Blute. Meine Frau und
ich wir erwiedern Ihre und Aller der lieben Ihrigen Neujahrswünsche aufs Herzlichste!
Ihnen aber vor Allem schnelle vollkommene Wiederherstellung und feste Gesundheit.
Zitiervorschlag
Sigismund Ludwig Borkheim an Karl Marx in London. London, Sonntag, 12. Januar 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000523. Abgerufen am 23.05.2022.