| Paris den 5ten Aug. 1867

Lieber Marx,

Hier finde ich zu meiner Überraschung in allen Kreisen die Überzeugung, daß ein Krieg mit Deutschland unvermeidlich. Auf meine Frage, was dadurch erreicht werden solle, giebt mir Niemand eine Antwort, das weiß Niemand. Die Leute sprechen, wie Menschen, die der Soldatenherrschaft verfallen sind – unwiderruflich. Die Regierung hat alle professionellen Soldaten für sich und kann machen, was sie will. Das Gefühl, wenn auch dunkel, ist da, daß nur Rußland dabei gewinnen kann; anstatt aber dahin zu arbeiten, daß dem Zustande abgeholfen wird, erhitzt man sich beim Absynth über ein Geschichtchen, wonach nicht prämiirte preußische Pferdeaussteller damit gedroht hätten, sie würden die nichtprämiirten Mähren nächstens zu Hunderttausenden in der Seine tränken. Daß bei der allgemeinen Geschäftsstockung, bei dem Verstecken des Baaren, bei dem stillen Tosen der Arbeiter, ein Krieg erkünstelt werden kann, um Rußland und durch es die Reaktion der Welt zu stärken, dafür finde ich kein Verständniß. Wenn man ihnen sagte, es handelt sich drum, wem die gesammelten Schätze zufallen sollen, den Russo-Tartaren und ihren westeuropäischen Freunden, oder den Arbeitern, so kann man es genießen, als verrückt ins Irrenhaus gesperrt zu werden. Wie Attila den Theodosius behandelte, davon wissen die Absynth-Anbeter und Schoppenvertilger Nichts, auch wohl | nicht, daß Orestes und sein Vater Tatulus, wie Neumann in den „Völkern des südlichen Rußlands“ erzählt, im Dienste des Attila stehende Römer waren, von dem sie große Geschenke erhielten. Und der Sohn des Orestes wurde Romulus Augustulus! Schlimmer ist, daß man es nicht lernen will. Selbst unser Freund Schily macht sich über meine Anschauung lustig, die er nicht gesund findet, weil ich nicht die französischen Zeitungen lese. Er nennt es eine billige, gefahrlose Opposition, gegen das Russenthum loszuziehen. Im vollkommenen Bewußtsein der „Billigkeit“ meiner Anschauungen, die das Erzeugniß härterer Arbeit sind, als es das Zeitungslesen ist, beruhige ich mich. Die Opinion Nationale und der Prinz Napoleon predigten auch gegen Rußland, sagt Schily. Das wäre abgedroschen u.s.w. Ich darf mir das Vergnügen versagen, zu untersuchen, inwieweit der Plonplonismus mit meinen Ansichten übereinstimmt. Sollte ich, wenn Plonplon König v. Polen wird, zu seinem Geheimenrath avanciren, so werde ich den alten garçon Schily durch einige schöne Polinnen veranlassen müssen zu schweigen über seine Sehergabe. –

Ligue du désarmement. – Konkurrenz der Gesellschaft de la paix, die sich unter „höheren“ Namen in Genf vereinigt, während Ligue du désarmement von gewöhnlichen Menschenkindern wach gerufen worden. An dieser ligue ist Schily stark betheiligt. Ich habe eine Antwort des anrüchigen Schulze-Delitzsch auf die Einladungen von beiden Friedens | gesellschaften gelesen. Einen bessern Beweis, daß der Geselle ein bismarkischer Gensdarm ist, giebt es nicht. Er gehört wohl wie Lasker, Oppenheim u. dergleichen zu den Männern einer zukünftigen bismarkischen allerneuesten Era.

Ich habe Schily mit der Besorgung der Bücher für Sie betraut.

Meine Addresse ist per Schabelitz, nahe dem Polytechnicum. Zürich. Grüßen Sie von mir und meiner Frau die liebe Ihrige. –

Was ich für Genf vorhabe werde ich zu Papier bringen und Ihnen zuschicken mit der Bitte, mir nöthige Anmerkungen zu machen.

Schily möchte gerne meine Pauke sehen, um darauf zu antworten. Die Russen freuen sich, wie sie offen gestehen, unsrer Meinungsverschiedenheiten, die ihnen von großem Nutzen sein sollen. Ich bin natürlich nicht russischer Ansicht und verlange daher auch von Schily keinen orthodoxen Anschluß. Zusammen mit den Russen auf mich wird er doch nicht schießen.

Salaam an Engels. Auch er soll mir seine guten schießbaumwollenen Ladungen zugehen lassen.

Der Ihrige

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus zwei Blatt dünnem, weißem Papier im Format 214 bzw. 216 × 273 mm. Wasserzeichen auf beiden Blättern: „La[croix] Fr[ères]“. Borkheim hat die ersten drei Seiten vollständig beschrieben, die vierte Seite ist leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

 

Zitiervorschlag

Sigismund Ludwig Borkheim an Karl Marx in London. Paris, Montag, 5. August 1867. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000312. Abgerufen am 19.04.2024.