| London 10 Juni, 1867.

Lieber Freund,

Die Verspätung dieses Briefes bringt mich in den mehr oder minder „gegründeten Verdacht“ ein „schlechter Kerl“ zu sein. Als Milderungsgrund habe ich nur anzuführen, daß ich erst seit wenigen Tagen in London „wohne“. In der Zwischenzeit war ich zu Manchester, bei Engels. Aber Sie und Ihre liebe Frau kennen mich jezt wohl hinreichend, um Briefsünden bei mir normal zu finden. Ich war trotzdem jeden Tag bei Ihnen. Den Aufenthalt in Hanover zähle ich zu den schönsten u. erfreulichsten Oasen in der Lebenswüste.

In Hamburg hatte ich kein andres Abentheuer, ausser, trotz aller Vorsichtsmaßregeln, mit Herrn Wilhelm Marr bekannt zu werden. Er ist, seiner persönlichen Manier nach, ins Christliche übersetzter Lassalle, natürlich viel weniger werth. Auch spielte Herr Nieman während der wenigen Tage, die ich dort noch zubrachte. Ich war aber zu sehr durch die Gesellschaft in Hanover verwöhnt, um einer Theatervorstellung in minder guter Compagnie beiwohnen zu wollen. So entging mir Herr N.

À Propos. Meißner ist bereit Ihre beabsichtigte medizinische Brochüre zu drucken. Sie haben ihm nur das Mscpt. einzusenden u. sich auf mich zu beziehn. Ueber die näheren Bedingungen müssen Sie selbst das Weitere vereinbaren.

| Die Ueberfahrt von Hamburg nach London war, etwas rauhes Wetter den ersten Tag abgerechnet, im Ganzen günstig. Einige Stunden vor London erklärte ein deutsches Fräulein, das mir schon durch seine militairische Haltung aufgefallen war, sie wolle denselben Abend von London nach Weston supra Mare abfahren, u. wisse nicht, wie sie das mit ihrem vielen Gepäck anstellen solle. Der casus war um so schlimmer als am Sabbat hilfreiche Hände in England fehlen. Ich ließ mir die EisenbahnStation zeigen, wohin das Fräulein sich in London zu verfügen. Freunde hatten selbe auf eine Karte geschrieben. Es war die North Western Station, an der ich auch vorbei zu fahren hatte. Ich bot also, als guter Ritter, dem Fräulein an sie an Stelle abzusetzen. Acceptirt. Bei näherem Nachdenken fiel mir jedoch ein, daß Weston supra Mare südwestlich, die von mir zu passirende u. dem Fräulein niedergeschriebne Station dagegen nordwestlich liege. Ich consultirte den Sea Captain. Richtig, es fand sich, daß sie an einem mir ganz entgegengesetzten Theil Londons zu deponiren sei. Doch ich war einmal engagirt u. mußte bonne mine à mauvais jeu machen. Um 2 Uhr Nachmittags kamen wir an. Ich brachte la donna errante zu ihrer Station, wo ich erfahre, daß der Zug erst 8 Uhr Abends abgeht. So, I was in for it, u. hatte 6 Stunden mit Mademoiselle durch Spazierengehn im Hydepark, Niederlassen in ice shops etc todt zu schlagen. Es ergab sich, daß sie Elisabeth von Putkammer hieß, Nichte Bismarks, bei dem sie eben einige Wochen in Berlin zugebracht hatte. Sie hatte die ganze Armeeliste bei sich, da diese Familie unser „tapfres Kriegsheer“ überreichlich mit | Herrn von Ehr und Taille versieht. Sie war ein muntres, gebildetes Mädchen, aber aristokratisch und schwarzweiß bis zur Nasenspitze. Sie war nicht wenig erstaunt, als sie erfuhr, daß sie in „rothe“ Hände gefallen sei. Ich tröstete sie jedoch, daß unser Rendezvous „ohne Blutverlust“ abgehn werde, u. sah sie saine et sauve nach ihrem Bestimmungsplatz abfahren. Denken Sie, welches Futter dieß wäre für Blind oder andre Vulgärdemokraten , meine conspiracy with Bismarck!

Ich habe heute den 14. Correcturbogen expedirt. Die Mehrzahl derselben empfing ich bei Engels, der ausserordentlich zufrieden mit der Sache ist u., mit Ausnahme von Bogen 2. und 3., sie sehr leicht verständlich geschrieben findet. Sein Urtheil war mir beruhigend, da meine Sachen mir gedruckt immer sehr mißfallen, namentlich bei erster Ansicht.

Ich schicke Ihrer lieben Frau, der ich noch meinen spezifischen Dank für Ihre freundschaftliche und liebenswürdige Aufnahme zu erstatten bitte, das Photogramm meiner 2. Tochter Laura, da die andern Ph’s vergriffen sind u. erst neu gemacht werden müssen. Engels läßt ditto für Sie sein eignes und Wolff’s Phot. neu abziehn. Ihre Sendungen haben ihn sehr amüsirt.

Empfehlen Sie mich bestens dem „Madämchen“. Eleanor ist in Schule, würde ihr sonst schreiben.

And now, Adio!

Ihr
Karl Marx

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Absender

Briefkontext

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen dünnem, weißem Papier im Format 223 × 183 mm. Marx hat die ersten drei Seiten vollständig beschrieben, die vierte ist leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Von Louis Kugelmanns Hand: auf der vierten Seite oben in der Mitte mit schwarzer Tinte der Vermerk: „A. 10. (11)/7“.

Von unbekannter Hand: Die Passage „Á propos“ bis „vereinbaren“ und „Ich“ bis „schreiben“ mit Rotstift in Klammern gesetzt.

Anmerkungen zum Brief

Kugelmann antwortete Marx am 10. bzw. 11. Juli 1867 mit einem nicht überlieferten Brief (L. Kugelmann, 10. bzw 11.7.1867). Siehe Marx an L. Kugelmann, 13.7.1867.

Zur Beilage („das Photogramm“) zum Brief siehe Erl.

 

Zitiervorschlag

Karl Marx an Louis Kugelmann in Hannover. London, Montag, 10. Juni 1867. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000276. Abgerufen am 24.04.2024.