| 11 Braustraße, Leipzig.
25. Apr.

Lieber Mohr!

Leider kann ich Dir keine guten Nachrichten geben. Nachdem ich lange against hope gehofft habe, muß ich mir jetzt doch sagen, daß die Rettung meiner Frau nur noch einem Wunder zu verdanken sein könnte. Beide Lungen sind angegriffen, die eine fast zerstört, die Anschwellung der Füße hat bereits begonnen, und die allgemeine Entkräftung nimmt reißend zu. – Kurz ich muß die Katastrophe in Bälde erwarten. Das arme Weib! Die Londoner Misère untergrub ihre Gesundheit; meine Ausweisung aus Berlin gab ihr den ersten Stoß bis ins Lebensmark, meine Verhaftung im vorigen Herbst that den Rest. Sie glaubte nemlich, ich hätte mich in irgend eine Verschwörung eingeglassen, und lebenslängliches Zuchthaus zu erwarten. So geht sie an den Schlägen zu Grund, die mich treffen sollten! Es ist furchtbar für mich, sie so langsam hinsterben zu sehen; manchmal ist mir, als müßte ich den Verstand verlieren oder hätte ihn schon verloren. Und dazu die materiellen Folgen der Krankheit – geschmälerter Verdienst bei vermehrten Ausgaben. – Bezüglich meines letz | ten Berliner Abenteuers sei noch bemerkt, daß ich nicht blind in die Falle ging, sondern mich sehr vorsichtig benahm (ich führte einen andren Namen etc.) und erst dann aus dem Dunkel heraus trat, als mir verschiedne Advokaten und Deputirten (darunter Groote & Jacobÿ) meine Ansicht bestätigt hatten, ich habe als Bürger eines norddeutschen Bundesstaats (ich war als Ausländer ausgewiesen) nichts zu fürchten, zumal nach der Amnestie. Nun, wir hatten die Preußische Gemeinheit unterschätzt. Ein Theil meiner Richter war übrigens auf die von mir entwickelten Gründe hin für Freisprechung, und ich wäre schließlich auch ohne Zweifel in den höheren Instanzen losgekommen, wenn ich so verrückt gewesen wäre, zu appelliren, d. h. 7–8 Monat Untersuchungshaft einer dreimonatlichen Strafhaft vorzuziehen.

Eure Briefe (der Deinige mit, meine Frau hielt immer viel auf Dich) waren meiner Frau ein wahres Labsal; schreib' das Deiner Frau und den Mädchen, ich werde schwerlich so bald zum Schreiben kommen.

Gott sei Dank, daß die Ökonomie endlich fertig ist. Folgende Zeitungen stehen mir zu Gebote: 1) Deutsches Wochenblatt, Mannheim. 2) Oberrheinischer Courier Freiburg i.B. 3) Zukunft, Berlin, 4) Sächsische Zeitung, Leipzig, 5) Rheinische Volkszeitung, Mainz. In diese 5 Blätter besorge ich die Anzeige (an die Zukunft ist sie schon geschickt). Auch die „Rheinische Zeitung“ Düsseldorf, und das „Schlesische Morgenblatt“ Breslau sind uns offen. Exemplare sind zu schicken an: 1) Dr. Guido Weiß, für Zukunft. 2) Dr. Val. Maÿer für Oberrheinischen Courier, 3) Deutsches Wochenblatt, 4) Dr. Obermüller, für Sächsische Zeitung, 5) Stumpf für Rheinische Volkszeitung, 6) Dr. Petermann (Chef des statistischen Büreaus in Dresden, ein Gesinnungsgenosse, mit mir und einem dritten Vorstand sämmtlicher Sächsischen Volksvereine) Große Schießgasse, 4, III Tr. Dresden, 7) H. Groote, Abgeordneter, Schadowstraße Düsseldorf, 8) Lange (der Dir bekannte aus Duisburg, ich weiß jetzt aber die Adresse | nicht) 9) Dr. Jacoby, per Adr. Guido Weiß. 10) Dr. Becker, per adr. Rheinische Zeitung. 11) Prof. HeinrichWuttke, Reudnitz bei Leipzig. Ferner: Georg Dumas, für Schlesisches Morgenblatt, in Breslau. Auch den Stuttgarter Beobachter darf man nicht übersehen. In einige Schweizer Blätter werde ich Eingang finden. Am liebsten wäre es mir, und gewiß am zweckmäßigsten, wenn Du oder Engels ein paar einführende Aufsätze über das Werk schriebet, die in den oben genannten Blättern untergebracht würden, und mir zur Grundlage weitrer Arbeiten dienten.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird meine Zeitung demnächst wieder hergestellt, freilich werde ich dann wohl nach Dresden übersiedeln müssen. Ich hoffe, Du thust dann Dein Möglichstes für das Blatt.

Es thut mir leid, daß Du nicht herkommst. Sieh doch zu, vielleicht geht es noch. Es würde sich verlohnen. Ich stehe hier nicht vereinzelt, habe gute Verbindungen angeknüpft, und manches organisirt.

Lebe wohl. Ich habe meiner Frau schon zu viel Zeit entzogen. Die Kinder sind wohl.

Bleibe gut Deinem
treuen Miller.

(Merke Dir neue Adresse
11 Braustraße)

Grüße an Deine Frau und die lieben Mädchen. Auch meine Frau sends her love to all of you.

Sigfrid Meÿer, jetzt in Amerika, beschwert sich über Dein hartnäckiges Schweigen, er habe Dir schon mehrmals geschrieben, ohne Antwort zu bekommen. Schreibe ihm ja. Er ist einer der Treuen, und fähig. Adresse Mr. S. Meyer, Care of  F. A. Sorge Esq. Box 101, Hoboken N.J. U.S.
Er wird auch für die Ökonomie wirken. Vernachlässige ihn nicht.

/ Schreibe bald; Du siehst ich war flink im Schreiben und – vergessen. /

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen mittelstarkem, weißem Papier im Format 340 × 138 mm. Die ersten drei Seiten hat Liebknecht vollständig beschrieben, die vierte ist leer. Eine Passage auf der letzten Seite („Grüße an Deine Frau ... love to all of you.“) ist von Liebknecht umkreist. Die letzte Passage („Schreibe bald; Du siehst ich war flink im Schreiben und – vergessen.“) steht auf der ersten Seite oben links niedergeschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Von unbekannter Hand (vermutlich von David Borisovič Rjazanov): auf der ersten Seite oben rechts mit Blaustift die Jahresangabe „1867?“, korrigiert aus „1866“.

Anmerkungen zum Brief

Zur Datierung: Die Jahresangabe stützt sich auf folgende Tatsachen: Liebknecht erwähnt die schwere Krankheit seiner Frau Ernestine („Leider kann ich Dir keine guten Nachrichten geben. ...), die am 29. Mai 1867 gestorben war (siehe W. Liebknecht an Marx, 29.5.1867); er bittet Marx an Sigfrid Meyer nach Amerika zu schreiben („Schreibe ihm ja.“). Marx erfüllt diese Bitte am 30. April 1867 (Marx an S. Meyer, 30.4.1867).

Liebknecht beantwortet einen nicht überlieferten Brief von Marx, geschrieben zwischen 16. und 25. April 1867 (Marx an W. Liebknecht, zw. 16. u. 25.4.1867; siehe „Gott sei Dank ...“, „Es thut mir leid ...“ und Erl.).

 

Zitiervorschlag

Wilhelm Liebknecht an Karl Marx in Hannover. Leipzig, Donnerstag, 25. April 1867. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000254. Abgerufen am 28.03.2024.