| Paris Dec 31/66
33, Rue des trois Couronnes du TempleLieber Marx,
meine Briefe, wie Comete, bewegen sich in Kegelschnitten. Ihre Promenaden werden daher immer weiter, u. erklärt sich somit, wie es zu geht, daß sie auch immer länger u. länger ausbleiben müssen. Hätte ich aber das alte Jahr vorüber gehen lassen, ohne wenigstens ein paar Duzend Zeilen, an meine alten theuern Freunde zu schreiben, so hätte das mein weiches Herz verkrumpelt. Wir Deutsche, die wir im allgemeinen sehr sentimentale Thierchen sind, daß uns der innere Seelenfrieden nebst Wurst und Sauerkraut, über alles gehen – wir lieben auch nicht, Handlungen zu begehen, die wir dereinst zu bereuen haben möchten u. uns im süßen Schlummer störten, was sehr ungesund sein soll, nach Dr. Lenck. Ich habe mich daher auch sehr zu beeilen gesucht, mein Gewissen noch heute Nachmittag invulnerable zu machen.
Nach dieser kurzen Vorrede, ist das wichtigste, Dir mitzutheilen daß ich noch nicht gestorben bin, u. für die Feiertage auch noch wahrscheinlich in diesem Zustande verharren werde. Apetit gut – u. sonstige Merkmale keine. Unser Geschäft ist ungefähr so schlecht diesen ganzen Sommer über gegangen, wie es nur gehen konnte; doch haben wir uns durchgekrappelt, ohne die Merkmale der Lumperei ans Licht kommen zu lassen, wie ja anständige Leute immer thun müssen. Groß thun, u. doch nichts haben – that's the ticket!
Wir arbeiten jetzt schon an 2 Monaten für die neuen Siehe Engels an Marx,
21.12.1866.
Schließen fusils à aiguille. Wir machen ein Werkzeug um die Läufe
zu bohren. Da die französischen
Waffenfabriken die große Nachfrage nach dem neuen Chassepot-Gewehr nicht
befriedigen konnten, erhielt Isaac
Cahen-Lyon im August 1866 eine Lizenz zur Fertigung einer
festgelegten Anzahl von Gewehren im Ausland.
Schließen Die Regierung hat einem Kerl an 3 Millionen
Franken Arbeit dieser Art in Contrakt gegeben, und ich
bedauere nur, daß wir dieser Kerl nicht sind. Wir bekamen diese Arbeit blos,
weil er sonst nicht bis zum Termin hätte alles fertig bringen können. Du kannst
Dir darum
| denken qu'il n'y a pas grave. Es ist hier allgemein die Meinung
verbreitet, daß sobald Die Weltausstellung in
Paris 1867.
Schließen die Ausstellung vorüber sei, Gebrauch von diesen neuen
Chassepot Gewehren gemacht werden
wird, und insbesondere, um die rectification des frontières zu
bewerkstelligen. Wenn
ich nicht in der letzten Zeit Gelegenheit gehabt hätte, mir ganz abzugewöhnen,
eine Meinung zu haben, so würde ich mir erlauben zu meinen, daß nichts
derartiges zu befürchten sei. Ich meine aber lieber nicht. Der französische
Geist ist so erfinderisch, wenn dabei etwas zu profitiren ist, daß er natürlich
nicht umhin konnte, in seiner Eitelkeit das Rheinufer für sich zu patentiren.
„Nous sommes des Français – nous autres – et nous prenons ou nous pouvons!“ –
Denke Dir dabei, daß die Nation bunte Pantoffelchen trägt, eine schmierige Mütz'
aufs eine Aug geklemmt, 2 goldene Ring am Finger, die beiden Hände in der
Hosentasch, den Finger aber, der die Ringe trägt, vorsichtig zur Tasche
’rausgestreckt, die Cigarett im Maule schnullt, und stark nach Knoblauch stinkt,
und Du hast dann das Völkchen vor den Augen, ganz wie sie heut zu Tage sind.
Schmutzig – moralisch wie körperlich. Wenn es nicht so vulgair wäre, nachdem man
gescholten auch ein wenig gut zu sprechen, so würde ich sagen, daß es auch
einige gibt, die anders sind … In Bezug also auf diesen berüchtigten
Erfindungsgeist, besteht jetzt etwas in Paris, was mir neu u. amüsant ist;
nämlich in Stadtvierteln, wo viele Proletarier wohnen, wird allgemein folgender
Kontrakt gemacht, ehe der Hauseigenthümer den armen Teufel unter Obdach gehen
läßt, der ein Logis zu miethen denkt: Er muß einen Monat vorauszahlen, od.
3 Monate, je nach Umständen, u. dann bevor er erlaubt ist, einzuziehen, muß er
schon seine Aufkündigung mit seiner Unterschrift acceptiren, so daß, wenn er
nach Verlauf der voraus bezahlten Zeit, nicht fähig sein sollte, wieder voraus
zu bezahlen, ihn der Hauseigenthümer augenblicklich auf das Pflaster werfen
kann. Ist das nicht prächtig u. geschmackvoll?
Was macht Deine liebe Frau? Es ist schade daß ich nicht von dem famosen pudding kosten kann, wie früher in der schönen Zeit.
| Die schöne Zeit ist aber längst vergangen, der pudding, obgleich nicht sehr schön, ist auch vergangen und die Menschen werden alt. Grüße mir Deine Frau recht herzlich, und sag' ihr, daß auch ich ein alter Bursche werde.
Was mag Jenny machen, was
Laura, was Eleanor Marx, genannt
Tussy.
Schließen Tousschen. Der Wind pfeift öfters vom Nord-Westen, ich
versteh' ihn aber nicht.
Grüße mir Alle, u. wünsche Ihnen von mir, ein heitres Neujahr u. Glück u. Frieden in der Zukunft.
Ich hoffe Deine Gesundheit läßt Dich schanzen.
Lebt Alle recht wohl und gedenket zuweilen des Euch liebenden u. achtenden
Ch. KaubGut Neujahr an Lessner.
Zeugenbeschreibung und Überlieferung
Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.
Zeugenbeschreibung
Der Brief besteht aus einem Bogen und einem Blatt dünnem, weißem Papier im Format 265 × 208 bzw. 130 × 190 mm. Der untere Rand des Blattes ist unregelmäßig abgerissen. Die erste und dritte Seite hat Kaub vollständig beschrieben, die fünfte zur Hälfte, die übrigen drei Seiten sind leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.
Archivsignatur des Moskauer Marx-Engels-Instituts (IMĖ) auf den beschriebenen Seiten: „RJ 188a“ bis „RJ 188c“.
Zitiervorschlag
Karl Kaub an Karl Marx in London. Paris, Montag, 31. Dezember 1866. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000212. Abgerufen am 28.03.2024.