| Genf den 15 Nvbr 1866

Lieber Marx!

Was sagst Du zum Kongreß? Ich sah ihm mit nicht wenig zagem Herzen entgegen & weiß auch wohl allein am Besten, welche Bemühungen es gekostet hat um nicht kolossale Dummheiten zum Vorschein kommen zu lassen. Jetzt kann man sagen, es ging Alles über erwarten gut & und wir haben die Parthie gewonnen.

Mit unserem deutschen Kongreßsekretar (Moll) waren wir aus totaler Unfähigkeit zu solchem Posten schlecht gefahren & werdet Ihr daher wenig oder nichts im Protokoll über die Wirksamkeit der deutschen & deutsch-schweizerischen Delegation finden. Meine Kongreßbeschreibung im „Vorboten“ kann Euch jedoch bei Eurer Berichtsabfassung zu Hülfe kommen. Du siehst daß ich dort vermied einiger eklen Geschichtchen zu erwähnen.

Schwitzguebel, Präsident der Sektion Sonvillier, sandte mir gestern die  | Uebersetzung von 7 Fragen der deutschen Denkschrift, die er s.Z. gemacht & sie nun dem Generalrath fur den offiziellen Bericht zur Disposition schickt. Ob die Uebersetzung richtig & von vollig brauchbarer Redaktion, weiß ich nicht, da ich um die gebotene Gelegenheit zu dieser Sendung zu benützen, keine Zeit mehr zum Lesen hatte. Die noch übrigen 4 Fragen kann S. jetzt nicht übersetzen, weil er eben in Bern in Garnison ist. Wenn es noch 14 Tage Zeit hat, so werde ich sie sonst übersetzen lassen.

Die Kongreßkosten haben die Kasse unserer kleinen Sektion stark mitgenommen, werde aber Sorge tragen, daß Euch unser Beitrag zur Generalkasse nächsten Monat zu geht.

Der „Vorbote“ steht fest & ist seine Existenz durch Abonnements hinreichend gesichert.

In Deutschland hat der lausige Krieg uns einen verdammten Strich durch die  | Rechnung gemacht. Jetzt will zwar dort wieder einiges Leben fur uns erwachen & kann ich im nachsten Vorbote die Bildung neuer Sektionen anzeigen. Doch stehen diese Resultate lange nicht im Verhaltniß zu der Mühe, die ich mir dafur gebe & zu den Zeit- & Geldopfern die wir dafür gebracht. Nun es wird die Aussaat nicht verloren gehen.

Liebknecht der tappiger Weise in die Amnestie gerumpelt, ließ seit Februar, wo er zum ersten Mal schrieb, nichts mehr von sich hören.

Aus Genua ging mir vorgestern die Nachricht zu, daß man wahrscheinlich nächstens eine Arbeiterdelegirten-Conferenz in Venedig abhalten werde um neben Andrem auch den formellen Anschluß an unsere Association zu beschließen.

Für ein Bischen Mitarbeitung am „Vorboten“ rührt sich keiner der alten „Brüder“, bleibt mir allein auf dem Hals.

Unserm Lessner schrieb ich seit dem Kongreß gelegenheitlich schon zwei & heute zum dritten Mal, ihm verschiedene Aufträge  | an dich gebend. Es scheint, daß der gefallige Ueberbringer, Freund Jung’s, sich Briefe Vorbote, Bücher an der franz. Grenze hat wegnehmen lassen, was mir sehr, sehr ärgerlich ist – besonders auch wegen dem an Jung gerichteten Brief.

Engels kam also zur Zeit des Kongresses durch Mainz, hatte aber, wie es scheint, den Weg nach Genf nicht gefunden.

Hier geht es mit der Association sehr gut & wird das Gesellschaftshaus durch den Getränkedebit ein sehr einträgliches genossenschaftliches Konsumgeschaft. Mit sehr vieler Mühe brachte ich aber bei Abfassung des Vertrags & der Statuten kommunistische Grundsatze durch & wird nun aller Reinertrag untheilbar nur für gemeinschaftliche Zwecke verwendet. Vieleicht spreche ich schon in No 11 des Vorboten darüber. Indessen bin ich beschaftigt Tag & Nacht ohne ein Sou zu verdienen & sehe mich daher sehnlichst um einen Bruder um, der mich ablosen konnte, ehe ich darüber krebire.

Dies in Eil’! herzliche Grüsse an deine Familie

Dein
Joh Ph Becker

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen festem, weißem Papier im Format 223 × 180 mm. Becker hat alle vier Seiten vollständig beschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Von unbekannter Hand: Anstreichung mit Blaustift, auf der vierten Seite der kurze Absatz „Engels kam also“ bis „nach Genf nicht gefunden“.

Die Schreibweise wurde zurückhaltend korrigiert, die Eingriffe sind ausgewiesen.

Anmerkungen zum Brief

Der Brief gelangte nach London in einem Paket mit Büchern und anderen Materialien (siehe Erl.).

 

Zitiervorschlag

Johann Philipp Becker an Karl Marx in London. Genf, Donnerstag, 15. November 1866. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000195. Abgerufen am 16.04.2024.