| Genf den 1 März 1866

Meine liebe Frau Marx.

Daß ich Sie nolens volens zur Korrespondentin des „Vorbote“ gemacht werden Sie aus der zweiten Nummer ersehen haben. Das ist recht so, denn wenn die Männer krank sind oder fallen, so müssen die Frauen an deren Stelle treten, die Lücke ausfüllen & den Kampf fortsetzen. Es ist ein wahres Unglück für unsere Sache, daß unser Marx gerade, wo wir ihn nicht entbehren & ersetzen können krank sein muß. Könnte ihm mit Beten geholfen werden, ich würde es wahrhaftig seit meiner Kindheit zum erstenmal wieder versuchen. Sie können nur allein den „lieben Herrgott“ machen & den theuren Freund recht pflegen. Vielleicht haben sie ihn, wie ich hoffe & wünsche schon langst wiederhergestellt.

Es hat mich sehr gefreut daß Karl & Sie mit der ersten Nummer des „Vorbote“ zufrieden waren & ich hoffe Sie werden es mit der zweiten nicht minder gewesen sein.

Ich muß hier gestehen, daß ich Freundin & Freund Marx, namentlich letztern allzu lange auf eine Antwort warten ließ; wenn Sie aber den Berg von Arbeit, den ich ebenen soll oder kaum ein Tunnel durchbohren kann, | ohne darunter begraben zu werden, sehen würden, so möchten Sie mich genügend entschuldigen.

Zum Glücke wird die Mühe durch den Erfolg für die Sache belohnt. In Deutschland machen wir jetzt ordentliche Fortschritte, obwohl ich nur sehr geringe Mittel verwenden kann das Interesse für unsere Wirksamkeit wachzurufen. Auch Liebknecht hat endlich etwas von sich horen lassen & wird mit Verbündung anderer Gesinnungsgenossen, deren Adresse ich ihm angegeben, wohl bald in Leipzig eine größere Sektion zu Stande bringen. Es thut sehr Noth, daß recht bald Beiträge in die hiesige Kasse der deutschen Abtheilung, welche jetzt monatlich über fs 200 Druck- & Korrespondenzkosten leistet, von auswärtigen Sektionen zu fließen, damit wir nicht nächstens vor einer leeren Kasse halten bleiben & das Bischen Weltgeschichte das wir begonnen wieder in’s Stocken geräth. Es kostet keine geringe Anstrengung & Umsicht die Opferbereitwilligkeit der hiesigen deutschen Arbeiter in der rechten Spannung & zwar ungefährdet zu halten. In Briefen an die deutschen & schweizer Arbeiter muß ich oft ganze Abhandlungen liefern um die Leute auf den rechten Standpunkt zu | stellen & ihnen praktische Anleitungen zu geben. Indessen tritt die Bourgeoisie in Deutschland & der Schweiz gegen uns auf & greift zur Verdächtigung, Drohung & Einschüchterung. Deßhalb schrieben uns auch schon mehrere Arbeitergesellschaften, die zum Beitritt geneigt waren, wir wären „zu roth gefärbt.“ Das Zentralkomite des deutschen Arbeiterbildungsvereins (Vorort Zürich) intriguirt ebenfalls gegen uns & hat mit einem Mahnruf im „Felleisen“ seinem Moniteur den Feldzug begonnen. Derselbe ist leider von deutschen Professoren & Doktoren düpirt. Hat nichts zu sagen, ich werde ihnen schon die viereckigen Blechköpfe rund klopfen.

In der hiesigen romanischen Sektion gibt es zuweilen alberne Streitigkeiten, die noch zu ernstlicheren Auftritten führen dürften. Unser eifriger & braver Düpleix ist zuviel Formalist & fanatischer Tugendritter, in kleinen Dingen groß und in großen ohne Verständniß.

Le „Journal de l’association Internationale des travailleurs“ & „La voix de l’avenir“ kommen nicht über die Rohstoffwahrheit des Schulze-Delitschzt hinaus & wollen die Welt mit Konsumvereinlerei & dergleichen Eier satt & seelig machen. Dem Freund Coullery in Chauxdefonds habe ich deßhalb schon einige Mal den Kopf gewaschen & der hiesigen Redaktion den „Pfeffer gerieben“. Werde wohl noch zum Nürnberger Trichter greifen müssen.

Ich bin sehr froh das „Kommunistenmanifest“ zu besitzen & danke für die freundliche Besorgung; indessen hat das Päckchen das ausserordentliche Porto von fs 8,50 Cents gekostet, während ein  | großeres Paket mit demselben Manifest von Berlin kommend nur fs 1,70 cents in Anspruch nahm.

Soeben erhalte ich einen langen Brief von unserem wackern Genossen Jung woraus ich ersehe, daß unser Karl leider noch immer krank ist. Es ist dies umsoverdrieslicher als es durchaus nothwenig ist, daß der Generalrath endlich wieder ein Lebenszeichen von sich gibt & besonders in Betreff des bevorstehenden Kongresses ein angemessenes Rundschreiben an die verschiedenen Zentralkomites wenigstens erlässt. Da wir nun Organe verschiedener Sprachen zu unserer Verfügung haben, so konnen wir demselben sofort die nöthige Veröffentlichung angedeihen lassen. Unser guter Marx soll doch, sobald es ihm irgend möglich ist dafür sorgen, daß dies geschieht. Auch ist es unabweislich nothwendig, daß ein Gesammtverfassungsentwurf zur Berathung auf dem Kongresse auf die Tagesordnung kommt. Wir werden hier Alles aufbieten um die rechten Anordnungen zur glänzenden Abhaltung des Kongresses zu veranstalten. Unser Jung arbeitet, wie ich aus seinem Briefe ersehe, immer noch mit der alten Rastlosigkeit; lassen Sie ihn gefalligst den wesentlichen Inhalt dieses Schreibens wissen. Morgen werde ich ihm einstweilen noch eine Parthie „Vorbote“ No 2 senden. Nun leben Sie wohl, grüssen Sie mir ihre Fräulein Tochter, besonders die „Kleine“ & umarmen Sie fur mich unsern kranken Freund

Ihr ergebener Joh Ph Becker

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Absender

Briefkontext

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen mittelstarkem, weißem Papier im Format 270 × 213 mm. Ovaler grüner Aufdruck auf der ersten Seite oben links: „Association Internationale des Travailleurs Section Genevoise“. Becker hat alle vier Seiten vollständig beschrieben. Eine Passage („& hat mit“ bis „begonnen“) ist mit dem Einfügungszeichen „†“ versehen und steht auf der dritten Seite am linken Rand. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Die Schreibweise wurde zurückhaltend korrigiert, die Eingriffe sind ausgewiesen.

Anmerkungen zum Brief

J. Ph. Becker beantwortet Jenny Marx’ Brief vom 29. Januar 1866 (J. Marx an J. Ph. Becker, 29.1.1866), siehe auch „Es hat mich gefreut ...“.

 

Zitiervorschlag

Johann Philipp Becker an Jenny Marx London. Genf, Donnerstag, 1. März 1866. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000052. Abgerufen am 19.04.2024.