| Berlin, 25. Decbr, 68.

Hochverehrter Herr!

Ihre werthe Adresse dem Reichstagsabgeordneten Herrn W. Liebknecht in Leipzig verdankend, verzeihen Sie mir, wenn ich mich in einer Angelegenheit an Sie wende, die gegenwärtig die Berliner Handlungsdiener sehr beschäftigt. – Die Berl. Materialisten haben mehrfache Versammlungen abgehalten und in diesen den Wunsch nach Verkürzung der Arbeitszeit behufs Ausbildung des Geistes ausgesprochen. Es wurde eine Commission, zu der ich obwohl nicht Nicht-Kaufmann hinzugezogen wurde, niedergesetzt, welche eine Denkschrift an die Inhaber von Materialhandlungen ausarbeitete und die den Principalen vor Weihnachten zugesandt wurde. Diese Denkschrift ist nicht ganz ohne Wirkung geblieben, indem ein Theil der Principale sich der Sache günstig gezeigt und eine Versammlung von Principalen, also von ihren Collegen, zu einer Besprechung dieser Sache einzuladen gesonnen ist. – Auch die Berliner Presse unterstützt einstimmig die gerechten und billigen Forderungen der Handlungsdiener. –

Nun war ich natürlich begierig, die Lage der Handlungsdiener (Materialisten) in England zu | erfahren und wendete mich zu diesem Zweck an den längere Zeit in England sich aufgehaltenen Herrn W. Liebknecht. Indessen konnte mir derselbe nur ungenaue Mittheilungen speciell über die Verhältnisse der Materialisten machen, rieth mir aber, mich an Sie, verehrter Herr zu wenden, was ich hiermit so frei bin zu thun.

Da ich mich für die sociale Verbesserung der Arbeiter im Allgemeinen interessire, habe ich auch diese Sache in die Hand genommen u. werde in meinem Bestreben von allen Seiten unterstützt. – Wir begehren, wie bereits erwähnt, Verkürzung der Arbeitszeit behufs Ausbildung des Geistes. – Von Morgens 5 oder 6 Uhr bis Abends 10–11 Uhr sind die Materialisten ununterbrochen an das Geschäft gefesselt, ohne Gelegenheit zu haben, auch ihrem Geiste die nöthige Pflege angedeihen zu lassen. Alle 14 Tage, – des Sonntagsnachmittag sind sie frei! Da wir nun der Ueberzeugung sind, daß diese Leute an diesem einem freiem Sonntag-Nachmittag nach vorhergegangenen 14tätigen Strapazen nicht das Buch zur Hand nehmen werden, haben wir vom freien Sonntag Abstand genommen u. erstreben Schließung der Geschäfte im Winter Abends 8 Uhr, im Sommer Abends 9 Uhr, damit die Commis resp. die Lehrlinge Bildungs-Vereinen beizuwohnen im Stande sind.

Ich erlaube mir nun, geehrter Herr, Ihnen das Ansuchen zu verbreiten, mir gef. Mittheilungen über die dortige Lage speciell der Materialisten | zukommen lassen zu wollen, resp. mir Mittel und Wege anzugeben, auf welchem Wege wir zur Erreichung des Ziels gelangen.

„Einig und andauernd“ schreibt mir Liebknecht. Aber wie kommt man den Principalen bei? sage ich.

Ohne Veranlassung zu Sonstigem, als Sie bittend, die Ihnen hierdurch verursachte Mühe gef. im Interesse der Sache entschuldigen zu wollen, zeichne

hochachtungsvoll
ergebenst
Hugo Polke
Schillingsst. 1a.


P. S. Sehr lieb würde es mir sein und für die Förderung der Sache dienlich, wollten Sie mich baldmöglichst mit einigen Zeilen beehren.

D.O.

| Herrn
Dr Karl Marx
London
1. Modena Villas, Waverstock Haverstock Hill
Kintisch Kentish Town.
frei

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.

Absender

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen dünnem, blauem, kariertem Papier im Format 442 × 280 mm. Auf der dritten Seite am rechten Rand ist das Papier beschädigt, Textverluste sind dadurch nicht entstanden. Polke hat die ersten zwei Seiten vollständig beschrieben, die dritte zu drei Vierteln und die vierte Seite als Adressseite benutzt. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Auf der Adressseite befinden sich vier Poststempel: „Berlin P. E. 27. 25/12 68 1-2N“ (blau, zweimal), „P. D.“ (rot), „Paid Z 28 68 N. W. London“ (rot) und eine 5-Groschen Briefmarke.

Archivsignatur des Moskauer Marx-Engels-Instituts (IMĖ) auf den beschriebenen Seiten: „Rj 44a–d“.

 

Zitiervorschlag

Hugo Polke an Karl Marx in London. Berlin, Freitag, 25. Dezember 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000889. Abgerufen am 18.04.2024.