| Wladimir-Lederfabrik d. 22t Mai Juni 1868
/3 Juni Juli

Verehrter Herr und Freund!

Mit Gegenwärtigem  Die Beilage (Entwurf von Dietzgens „Kapital“-Besprechung) ist nicht überliefert.
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übersende Ihnen meinen Versuch
, den herrlichen Inhalt  Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg 1867.
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Ihres Buchs
mittelst  Joseph Dietzgen: Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie von Karl Marx. Hamburg 1867. In: Demokratisches Wochenblatt. Leipzig. Nr. 31, 34, 35 und 36, 1., 22., 29. August und 5. September 1868. Siehe MEGA2 I/21. S. 1311. Siehe auch J. Dietzgen an Marx, 20.5.1868 („Ihren Vorschlag eine Empfehlung Ihres letzten Werkes zu verfassen, bin ich wohl in der Lage anzunehmen.“) und Erl.
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einer kurzen Besprechung
wiederzugeben. Ich fürchte, Sie werden sagen, es sei schlecht gelungen. Ich weiß dann als Entschuldigung nur zu erwiedern, daß der Gegenstand zu neu, reich und inhaltvoll ist, um eine würdige Behandlung zur leichten Aufgabe zu machen. Wenn Sie werth finden dem Aufsatz Annahme in irgend einem Journale zu verschaffen, möchte ich wohl einen zweiten Theil als Fortsetzung schreiben, um speziell noch Ihre Analyse vom Werth der Arbeitskraft hervorzuheben.

Diese Partie im Zusammenhange mit dem Werthgesetz überhaupt ist überaus prächtig. – Das man das Werk in | liberalen Blättern todt schweigt, darf kaum wundern. Es ist ja nicht die Erkenntniß, nicht die Wahrheit, nicht die Wissenschaft das Ziel unserer Presse, der dominirende Zweck ihrer bombastischen Wichtigkeit ist – to make money.

 Siehe Begründung der Datierung in der Zeugenbeschreibung.
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Diese Zusendung kommt so spät
, weil ich auf 4 Wochen von hier zu meinen Eltern nach Siegburg, bei Köln a/Rh. verreist war.  Siehe auch L. Kugelmann an Marx, 26.6.1868 und Erl., Marx an Engels, 29. Juni 1868.
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Unterwegs hatte ich die Freude, einen fleißigen Mitschüler und treuen Kampfgenossen an Herrn Dr Kugelmann in Hanover kennen zu lernen.
Bei ihm und seiner lieben Familie habe ich ein paar angenehme Tage verlebt. Wir haben dort unser gemeinschaftliches Bedauern darüber ausgetauscht, daß Sie, verehrter Freund, durch Krankheit und Widerwärtigkeiten soviel zurückgehalten sind, Ihren Arbeiten mit voller Kraft obzuliegen. Mit dem interessirten Hintergedanken, dadurch bald zum Anblick des |  Karl Marx: Das Kapital. Band 2 sollte ursprünglich Buch 2 und Buch 3 enthalten. Siehe Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Erster Band. Buch I. Vorwort (MEGA2 II/5. S. 14). Die Manuskripte zum zweiten und dritten Buch des „Kapital“, an denen Marx bis zum Ende seines Lebens weiterarbeitete, wurden erst nach seinem Tod von Engels als Band 2 und Band 3 veröffentlicht. Ausführlicher dazu siehe Exkurs zur Fortsetzung des „Kapital“.
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2tn Bandes Ihrer Kritik des Kapitals
zu gelangen, wünsche ich Ihnen sehnlichst Gesundheit und Wohlergehen. Nach dem Erscheinen desselben, des 2tn Bandes, werde ich meinen Wunsch erneuern, um damit  Siehe Marx an J. Dietzgen, 9.5.1868.
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die „Dialektik“ zu befördern, welche Sie, Ihrer freundlichen Mittheilung nach, demnach zu schreiben beabsichtigen
.

Hegel, den ich um seiner großen Schüler willen schon hoch verehre, habe ich bisher noch nicht gelesen. Ich fürchtete mich gewißermaßen vor der schwierigen Form. Jedoch will ich jetzt mich bald daran machen, Vorher aber meine autodidaktischen  Dietzgen zitiert im Folgenden aus seinem Manuskript, später veröffentlicht unter der Titel: Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit. Dargestellt von einem Handarbeiter. Eine abermalige Kritik der reinen und praktischen Vernunft (Hamburg 1869). Hier Abt. II.
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Gedanken über das Denkvermögen
zu Papier bringen. Erlauben Sie mir noch einige Gedankenspäne über dies Thema; Sie haben dazu animirt.

 Dietzgen zitiert im Folgenden aus seinem Manuskript: Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit. Dargestellt von einem Handarbeiter. Eine abermalige Kritik der reinen und praktischen Vernunft. Hier: Abt. II. Es wurde später (Hamburg 1869) veröffentlicht. Siehe J. Dietzgen an Marx, 20.5.1868 und Erl. (e139e). Siehe auch Marx an L. Kugelmann, 5.12.1868 („Haben Sie die Adresse von Dietzgen?“).
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„Eine Theorie des Denkens d. h.
der Art und Weise, der Methode, wie die Hirnfunktion Erkenntnisse zeugt, wissenschaftliche Wahrheiten produzirt, muß unserer Urtheilskraft im allgemeinen dieselbe Sicherheit des Erfolgs erwerben, welche in besondern Disziplinen | uns längst durch Theorien erworben ist. Das viele Verwechseln zwischen Meinen und Wissen zeugt dafür, daß man das Verstehen nicht versteht, das Begreifen nicht begreift. Wer zu verstehen weiß darf nicht mißverstehen.

Denken ist eine Funktion des Gehirns, wie Gehen eine Funktion der Beine. So wenig nun die Anatomie der Beine mit der Frage: was heißt Gehen, sowenig hat die Anatomie des Gehirns mit der Frage zu thun, was heißt Denken. Diese Frage ist das einzige Objekt der spekulativen Philosophie. Hier wird die spekulative Methode induktiv, und umgekehrt. Das Denken hat die Erfahrung seiner selbst in u. bei sich. Das Denken ist eine sinnliche materielle Thatsache. Wenn nicht greifbar ist es doch fühlbar. Blumenduft, ein sinnlich Ding, ist weder sichtbar, hörbar noch greifbar.

Die Erscheinung der Dinge besteht in Relationen. Die Dinge erscheinen so manichfaltig wie ihre Relation. Das Wesen der Dinge besteht in der Relation, welche manichfaltige Erscheinungen auf das Hirn üben. Einen begrenzten Kreis von Erscheinungen gegeben, ist die Allgemeinheit dieses Kreises, das Wesen desselben.[“] – Ich bin zu Ende, wenn nicht mit der Philosophie, dann doch mit dem Papier. – Lassen Sie mich bald erfahren, daß Ihre Arbeit fleißig fortrückt.

Ihr ergebener: Joseph Dietzgen.

Zeugenbeschreibung und Überlieferung

Zeugenbeschreibung

Der Brief besteht aus einem Bogen mittelstarkem, weißem Papier im Format 270 × 210 mm. Alle vier Seiten hat Dietzgen vollständig beschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.

Die Schreibweise wurde nicht berichtigt.

Anmerkungen zum Brief

Datierung der Erstveröffentlichungen: „Anfang Juli 1868“ bzw. „22. Mai/3. [Juli] 1868“.

Zur Datierung: Dietzgen hat den vorliegenden Brief nach seinem Schreiben an Marx vom 20. Mai 1868 verfasst, in dem er seine bevorstehende Reise nach Deutschland erwähnt (J. Dietzgen an Marx, 20.5.1868: „Ich reise in den nächsten Tagen in Familien-Angelegenheiten nach meiner rheinischen Heimath.“). Louis Kugelmann erwähnt in seinem Brief an Marx vom 26. Juli 1868: „Pfingsten besuchte mich Dietzgen“ (L. Kugelmann an Marx, 26.7.1868). Pfingsten fiel 1868 auf den 31. Mai. Im vorliegenden Brief schreibt Dietzgen, er sei von dieser Reise zurückgekehrt („weil ich auf 4 Wochen von hier zu meinen Eltern nach Siegburg, bei Köln a/Rh. verreist war.“). So ist davon auszugehen, dass Dietzgen den Brief erst nach dem 20. Juni 1868 geschrieben hat. Marx übersendet den Brief an Engels am 11. Juli 1868 (Marx an Engels, 11.7.1868: „3) Brief v. Dietzgen“). Der Brief muß also vorher entstanden sein. Unter der Berücksichtigung der Datierung von Dietzgen selbst können wir vermuten, daß er die Monatsnamen verwechselt hat und der Brief vom 22. Juni/3. Juli 1868 stammt, d.h. mit dem 3. Juli 1868 des gregorianischen Kalenders datiert werden muß.

Die Beilage („Mit Gegenwärtigem übersende Ihnen ...“) ist nicht überliefert. Siehe Erl.

 

Zitiervorschlag

Joseph Dietzgen an Karl Marx in London. Sankt Petersburg, Freitag, 3. Juli 1868. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0005083. Abgerufen am 18.04.2024.