| London 10 Juni, 1867.
Lieber Freund,
Die Verspätung dieses Briefes bringt mich in den
mehr oder minder „gegründeten Verdacht“ ein „schlechter Kerl“ zu sein. Als
Milderungsgrund habe ich nur anzuführen, daß ich erst seit wenigen Tagen in
London „wohne“. In der Zwischenzeit Zu Marx’
Aufenthalt in Manchester siehe Marx
an Engels, um den 22.5.1867.
Schließen war ich zu
Manchester, bei Engels.
Aber Sie und Ihre liebe Gertrud
Kugelmann.
Schließen Frau kennen mich jezt wohl
hinreichend, um Briefsünden bei mir normal zu finden. Ich war trotzdem jeden Tag
bei Ihnen. Zu Marx’ Aufenthalt in Hamburg und Hannover siehe die Erl. zu
Marx an Engels, 13.4.1867.
Schließen Den Aufenthalt in Hanover zähle ich zu den
schönsten u. erfreulichsten
Oasen
in der Lebenswüste.
H
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In
Hamburg hatte ich kein andres Abentheuer, ausser, trotz aller
Vorsichtsmaßregeln, mit Herrn Wilhelm
Marr bekannt zu werden. Er ist, seiner persönlichen Manier nach,
ins Christliche übersetzter Lassalle, natürlich viel weniger werth. Albert
Niemann, Kammersänger an der Königlichen Hofoper in Berlin,
gastierte am Hamburger
Stadttheater.
Schließen Auch spielte Herr Nieman während der wenigen Tage, die ich dort noch zubrachte.
Ich war aber zu sehr durch die Gesellschaft in Hanover verwöhnt, um einer
Theatervorstellung in minder guter Compagnie beiwohnen zu wollen. So entging mir
Herr N.
À Propos. Louis Kugelmann
beabsichtigte, eine populär gehaltene Broschüre über die moderne
Behandlung von schweren Infektionskrankheiten zu verfassen. Im
Zusammenhang damit wollte er sich im Juni 1867 für einen kurzen
Studienaufenthalt nach Paris begeben, wovon ihm Marx aber abriet. Siehe
Marx
an Kugelmann, 13.7. 1867. Siehe auch Marx
an Engels, 24.4.1867. Kugelmanns Werk „Die
Behandlung der acuten Exantheme durch continuirliche Ventilation“ wurde
erst in der Zeitschrift „Deutsche Klinik. Zeitung für Beobachtungen aus
deutschen Kliniken und Krankenhäusern“. Berlin. Nr. 17, 24. April 1869.
S. 156/157, gedruckt und erschien als Broschüre u. d. T. „Die Behandlung der
acuten Exantheme (Masern, Scharlach, Blättern) durch continuirliche
Ventilation“ beim Verlag „Schmorl & von Seefeld“ 1873 in
Hannover. – Franzisca Kugelmann erwähnte „eine Broschüre“ ihres Vaters
in den Erinnerungen an
Ludwig
Kugelmann: „Wie ist die Sterblichkeit bei Scharlach, Masern und
infektiösen Krankheiten auf ein Minimum zu beschränken?“.
(RGASPI,
Sign. f. 184, op. 1, d. 16. Bl. 24). Im Brief des Marx-Engels-Instituts
an das Marx-Engels-Verlag vom 6. Mai 1930 formulierte Ernst Czóbel folgende
Anfrage btr. Kugelmanns Broschüre: „… bitten wir Sie [d.i. Hans Jäger
bzw. Jaeger] gleich, sich bei Frl. K[ugelmann] zu erkundigen, ob sie
nicht die medizinische Broschüre ihres Vaters, wovon sie in den
Erinnerungen Erwähnung tut, besitzt und uns übergeben könnte. In der
deutschen Bibliographie finden wir eine medizinische Broschüre von L.
Kugelmann: 'Die Behandlung der acuten Exantheme [Masern, Scharlach,
Blättern] durch continuirl. Ventilation' 8 (7) Hann 73, Schmorl. Wir
wissen nicht, ob dies dieselbe Arbeit ist, die sie in den Erinnerungen
erwähnt“. (RGASPI, Sign. f. 71, op. 50, d. 98. Bl. 101.) Franzisca
Kugelmann meinte aber offensichtlich eine andere Broschüre Kugelmanns,
die u. d. T. „Wie ist die Sterblichkeit bei Scharlach, Masern und im
Wochenbette auf ein Minimum zu reduciren. Vortrag, gehalten im Verein
für Öffentliche Gesundheitspflege in Hannover am 25. Mai und 12. Oktober
1875“ in Hannover 1876 erschien. Siehe dazu auch Hundt: Louis
Kugelmann (1974). S. 196/197, 203; Peter Schulze: Kugelmann,
Louis. In: Hannoversches biographisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die
Gegenwart. Hannover 2002. S. 217; Harald Storz: Louis
Kugelmann. Arzt aus Lemförde. In: Fundstücke, Nachrichten und Beiträge zur Geschichte
der Juden in Niedersachsen und Bremen. Hannover. H. 3. 2004.
S. 8/9.
Schließen Meißner ist bereit Ihre beabsichtigte medizinische
Brochüre zu drucken. Sie haben ihm nur das Mscpt. einzusenden u. sich
auf mich zu beziehn. Ueber die näheren Bedingungen müssen Sie selbst das Weitere
vereinbaren.
| Die Ueberfahrt von Hamburg nach London war, etwas rauhes Wetter den ersten
Tag abgerechnet, im Ganzen günstig. Einige Stunden
b
//
vor
London erklärte ein deutsches
Fräulein, das mir schon durch seine militairische Haltung
aufgefallen war, sie wolle 19. Mai 1867.
Schließen denselben Abend von London nach Weston
supra Mare abfahren, u. wisse nicht, wie sie das mit ihrem vielen Gepäck
anstellen solle. Der casus war um so schlimmer als am Sabbat hilfreiche Hände in
England fehlen. Ich ließ mir die EisenbahnStation
zeigen, wohin das Fräulein sich in London zu verfügen. Freunde hatten selbe auf
eine Karte geschrieben. Es war die North Western Station, an der ich auch vorbei
zu fahren hatte. Ich bot also, als guter Ritter, dem Fräulein an sie an Stelle
abzusetzen. Acceptirt. Bei näherem Nachdenken fiel mir jedoch ein, daß Weston
supra Mare südwestlich, die von mir zu passirende u. dem Fräulein
niedergeschriebne Station dagegen nordwestlich liege. Ich consultirte den Sea
Captain. Richtig, es fand sich, daß sie an einem mir ganz
entgegengesetzten Theil Londons zu deponiren sei. Doch ich war einmal
engagirt u. mußte bonne mine à mauvais jeu machen. Um 2 Uhr Nachmittags kamen
wir an. Ich brachte la donna errante zu ihrer Station, wo ich erfahre, daß der
Zug erst 8 Uhr Abends abgeht. So, I was in for it, u. hatte 6 Stunden mit
Mademoiselle durch Spazierengehn im Hydepark, Niederlassen in ice shops etc todt
zu schlagen. Es ergab sich, daß sie
Elisabeth
von Putkammer hieß,
Nichte Bismarks, bei dem sie eben
einige Wochen in Berlin zugebracht hatte. Sie hatte die ganze Armeeliste bei
sich, da diese Familie unser „tapfres Kriegsheer“ überreichlich mit
| Herrn
von Ehr und Taille versieht. Sie war ein muntres, gebildetes Mädchen, aber aristokratisch und
Anspielung auf die Farben der Fahne Preußens.
Schließen schwarzweiß bis zur
Nasenspitze. Sie war nicht wenig erstaunt, als sie erfuhr, daß sie in „rothe“ Hände gefallen sei. Ich tröstete sie jedoch, daß
unser Rendezvous „ohne Blutverlust“ abgehn werde, u. sah sie saine et sauve nach
ihrem Bestimmungsplatz abfahren. Denken Sie, welches Futter dieß wäre für Blind
oder andre
Vulgärökonomen(?)
Vulgärdemokraten
, meine conspiracy with Bismarck!
Ich habe heute den Korrekturbogen des ersten Bandes des „Kapital“.
Schließen 14. Correcturbogen
expedirt. Die Mehrzahl derselben empfing ich bei Engels, Siehe auch
Engels an Marx, 16.6.1867.
Schließen der ausserordentlich zufrieden
mit der Sache ist u., mit Ausnahme von Bogen 2. und 3., sie sehr
leicht verständlich geschrieben
findet.
Sein Urtheil war mir beruhigend, da meine Sachen mir gedruckt immer sehr
mißfallen, namentlich bei erster Ansicht.
Vermutlich geht es um ein
Foto
von Laura Marx von 1867. Siehe Familie Marx privat
(2005). Nr. 1. S. 54.
Schließen Ich schicke Ihrer lieben Frau, der ich noch meinen spezifischen Dank
für Ihre freundschaftliche und liebenswürdige Aufnahme zu erstatten
bitte, das Photogramm meiner 2. Tochter Laura, da die andern Ph’s
vergriffen sind u. erst neu gemacht werden müssen. Siehe Marx
an Engels, 3.6.1867 und
Erl.
Schließen Engels läßt ditto
für Sie sein eignes und Wolff’s Phot. neu abziehn.
Kugelmann hatte für Engels die Erstausgabe des
Werkes von Engels und Marx „Die heilige Familie …“ Frankfurt a.M. 1845
mitgegeben. Siehe Marx an Engels,
24.4.1867
und 27.4.1867
und Erl.).
Schließen Ihre Sendungen haben ihn sehr amüsirt.
Empfehlen Sie mich bestens dem Franzisca
Kugelmann.
Schließen „Madämchen“.
Eleanor Marx.
Schließen Eleanor
ist in Schule, würde ihr sonst schreiben.
And now, Adio!
IhrKarl Marx
Zeugenbeschreibung und Überlieferung
Zeugenbeschreibung
Der Brief besteht aus einem Bogen dünnem, weißem Papier im Format 223 × 183 mm. Marx hat die ersten drei Seiten vollständig beschrieben, die vierte ist leer. Schreibmaterial: schwarze Tinte.
Von Louis Kugelmanns Hand: auf der vierten Seite oben in der Mitte mit schwarzer Tinte der Vermerk: „A. 10. (11)/7“.
Von unbekannter Hand: Die Passage „Á propos“ bis „vereinbaren“ und „Ich“ bis „schreiben“ mit Rotstift in Klammern gesetzt.
Drucke
Anmerkungen zum Brief
Kugelmann antwortete Marx am 10. bzw. 11. Juli 1867 mit einem nicht überlieferten Brief (L. Kugelmann, 10. bzw 11.7.1867). Siehe Marx an L. Kugelmann, 13.7.1867.
Zur Beilage („das Photogramm“) zum Brief siehe Erl.
Zitiervorschlag
Karl Marx an Louis Kugelmann in Hannover. London, Montag, 10. Juni 1867. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000276. Abgerufen am 24.04.2024.