| Lieber Marx!
Ich hörte von meinem
Gustav
Köttgen, Patenkind von Marx und
Engels.
Schließen Sohn, schon vor
einigen Monaten, dass der mit argloser Dreistigkeit sich Dir
vorgestellt hat. Nachträglich will ich Deine Freundlichkeit
und gelegentliche Leitung für den Jungen erbitten. Ich
benutze die Veranlassung, Dir von meinem Leben und Wirken
einige Kunde zu senden. Ich verweile seit etwa dreizehn
Jahren in der Anspielung auf die Königlich-Preußische
Kunstakademie in Düsseldorf, an der auch Köttgen
studiert hatte, und die daraus hervorgegangene
Gruppe von Malern, die als Düsseldorfer
Malerschule (1819-1818) berühmt wurde. Seit 1854
war Köttgen Mitglied des Künstlervereins
„Düsseldorfer Malkasten“.
Schließen Künstlerstadt
Düsseldorf; bis vor
zwei Jahren war ich fast immer auf Reisen, als
Bildnissmaler. Seither verließ ich das Gebiet, widmete meine
Kräfte sehr kühn, für mein spätes Alter, der
Geschichtsmalerei. Der schwierige Wechsel fordert natürlich
manche Vorarbeiten, deenen denen ich seit meinen Jünglingsjahren entfremdet war,
wovor in der ersten Zeit mein Muth oft erlahmte. Nun sind
aber die großen Schwierigkeiten überwunden; ich male, mit
unbeschreiblicher Lust und glücklichem Erfolge: so dass ich
noch eine tüchtige Zahl von geschichtlichen Bildern zu
vollenden hoffe, wenn meine Kräfte noch den Abend meines
| Lebens treu begleiten. Den großen allgemeinen
menschlichen Angelegenheiten bin ich noch mit Kopf und Herz
warm ergeben, obgleich ich äußerlich meine Theilnahme weise
beschränken muss, aus Rücksicht auf mein angebetes angebetetes
Marie
Köttgen.
Schließen Weib und Gustav,
Laura,
Auguste
und Anna.
Schließen meine Kinder. Meine Verwandten
und Freunde missbilligen meine Betheiligung an öffentlichen
Dingen, so stark, dass mir eine merkbare Mitwirkung äußerst
erschwert ist. Ich muss große Gemüthsleiden erdulden, über
den argen Gegensatz, nach meiner Ueberzeugung zu leben oder
das Glück meiner Familie zu fördern. Eine
Vereinigung beider Forderungen ist oft unmöglich,
worüber ich manche Schmerzen leide. Köttgen wurde im März 1867
vom Berliner Stadtgericht für ein im „Social-Demokrat“
erschienenes Gedicht wegen öffentlicher
Friedensgefährdung zu 20 Talern Geldstrafe oder 14
Tagen Haft verurteilt. Das Gedicht „Morgengruß“
(Gustav
Adolf Köttgen: Morgengruß. In:
Social-Demokrat. 19. Dezember 1866, Nr 188) reizte
nach Ansicht des Gerichts die Staatsangehörigen
„zu Haß und Verachtung gegeneinander“ an. Siehe
Horst
Heidermann: Gustav Adolf Köttgen. Bonn 2018. S.
77-80.
Schließen Noch vor einigen Monaten brachte mir ein
Gedicht, wovon ich die Wirkung nicht vermuthete,
bald eine Klage, die schließlich etwa sechs
Friedrichsdor kostete. So muss ich meine Lust, in wichtigen
Fragen meine Gedanken und Gefühle zu zeigen, vielleicht
lebenslänglich verbergen. Dies Gedicht im Socialdemokrat
veranlasst
| mich, Zum
Verhältnis von Marx zu Johann Baptist von
Schweitzer und der Zeitung
„Social-Demokrat“ siehe z.B. seinen Brief an
Engels vom 18. Februar 1865 (MEGA2 III/13.
Br. 142 und Erl.).
Schließen Dein
Urtheil über das Blatt oder vielmehr über
Schweizer gelegentlich, vertraulich zu
fordern. Der Mann ist mir natürlich auch
sehr verdächtig; doch sein verwegenes Benehmen, die
zahlreichen Verurtheilungen des Blattes und manche sonstige
Züge, bilden bisher für mich ein Räthsel. Ich habe hier zwei
Stunden die großen Gefahren und Schwierigkeiten bewiesen,
gegen seine Forderung, zu den Die
Wahlen für den norddeutschen Reichstag fanden am
12. Februar 1867 statt. Siehe Erl. zu Engels an Marx,
13.3.1867.
Schließen Wahlen für das norddeutsche
Parlament, nur Männer zu
verpflichten, die nach Lassalle
schon Staatshülfe für Arbeiteranlagen verlangen. Der Bursche
konnte nicht einen Satz widerlegen, außer mit flachen
Witzen, seichten Vergleichen und Wortgeklingel,
wovon die Schaar der unwissenden Gläubigen freilich
befriedigt war. Die vielen Verdächtigungen und
Beschuldigungen wider den Mann, sind für mich zwar nicht
überzeugend; aber sein wunderliches, feiges Verhalten in
mehren Fällen, ist mir doch sehr missfällig. Von Dir las ich
vor einigen Monaten, dass in diesen Tagen Karl Marx: Das
Kapital. Bd. 1. Buch 1. Hamburg
1867.
Schließen ein Werk von
Dir erscheinen soll,
| worauf ich sehr begierig bin. Sonst erfuhr ich von
Deiner Thätigkeit nur sehr selten gelegentlich. Ich
schließe, von der Erwähnung Gustav
Köttgen.
Schließen meines
Gustav, den Du sehr
freundlich zum Tanze geladen hast, erfreulich; nämlich, dass
Du gegenwärtig in guten, behaglichen Verhältnissen lebst.
Siehe
Marx
an Engels, 24. April 1867
„Freiligrath blamirt sich ...“ und Erl.
Schließen Für den guten Freiligrath wird unsere jüngste
deutsche Viehseuche, die Verehrung des oft
gelästerten Dichters, hoffentlich und scheinbar
sehr gute Früchte bringen, obgleich das
gelegentliche Strohfeuer schon merklich
abnimmt.. Mein
Junge bemerkt beiläufig, dass Du von den
großen vaterländischen Verhältnissen keine sehr günstige
Meinung habest. Ich bin leider mit gleicher Meinung behaftet
und erwarte für die nächste Zeit keine günstige Veränderung.
Ich will schließlich aber noch die Frage beifügen: ob Du dem
Vaterlande keinen Besuch vergönnst, wenn Du vielleicht auch
nicht wieder Deinen Wohnort in Deutschland wählst. In der
Hoffnung, dass ich durch meinen Sohn gelegentlich mehr von
Dir erfahre, mit alter Freundschaft: G. A. Köttgen
Düsseldorf Juli.
Zeugenbeschreibung und Überlieferung
Dieser Brief wird hier erstmals veröffentlicht.
Zeugenbeschreibung
Der Brief besteht aus einem Bogen mittelstarkem, weißem Papier im Format 287 × 218 mm. Wasserzeichen: unlesbar {„Bach[xxxx]“?}. Alle vier Seiten hat Köttgen vollständig beschrieben. Schreibmaterial: schwarze Tinte.
Archivsignatur des SPD-Archivs auf der ersten Seite: „II 16 F 8“.
Von unbekannter Hand: auf der ersten Seite oben rechts und auf der vierten Seite unten mit Bleistift die Vermerke: „ca 1867“ bzw. „1867 (?)“.
Anmerkungen zum Brief
Zur Datierung: Die Datierung stützt sich auf den Inhalt des Briefes. Die im Absendungsdatum „Düsseldorf Juli“ fehlende Jahresangabe ergibt sich aus der Erwähnung des ersten Bandes des „Kapital“, der „in diesen Tagen … erscheinen soll“ , tatsächlich aber erst im September 1867 ausgeliefert wurde.
Zitiervorschlag
Gustav Adolph Köttgen an Karl Marx in London. Düsseldorf, Juli 1867. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe digital. Hg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: http://megadigital.bbaw.de/briefe/detail.xql?id=M0000309. Abgerufen am 28.03.2024.